- Sport
- NS-Aufarbeitung beim VfL Bochum
»1938 - nur damit es jeder weiß«
Die Entstehungsgeschichte des VfL Bochum führt in die NS-Zeit. Weil das lange unbeachtet blieb, hat das Fanprojekt gehandelt - mit Erfolg
Als der VfL Bochum im Heimspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern am 13. April den 3:2-Siegtreffer in der Schlussphase erzielte, war die Freude im altehrwürdigen Ruhrstadion riesengroß. Die Blau-Weißen haben nicht gerade eine souveräne Zweitligasaison gespielt, doch der Sieg gegen einen direkten Konkurrenten im Abstiegskampf vertrieb die größten Sorgen fürs Erste.
Nicht nur deshalb wird der Tag für Florian Kovatsch, Sozialarbeiter beim Bochumer Fanprojekt, und seine Kollegen in positiver Erinnerung bleiben. Seit mehr als zwei Jahren haben sie gemeinsam mit Fans an einer Broschüre zur Geschichte des VfL und der Stadt Bochum im Nationalsozialismus gearbeitet. Nun ist ihr Werk endlich veröffentlicht worden - und zwar genau einen Tag vor dem 80. Geburtstag des Vereins. Diese Zahl wird Fußballanhänger überraschen, heißt der Revierklub doch offiziell VfL Bochum 1848 und sollte demnach 170 Jahre alt sein. Doch in seiner heutigen Form entstanden ist er erst fast ein Jahrhundert danach.
Ihre Broschüre haben die Autoren in Abwandlung eines Fangesangs aus der Bochumer Ostkurve deshalb »1938 - nur damit es jeder weiß« genannt. »Sie soll aufklären, wie es zum VfL Bochum, wie wir ihn heute kennen, gekommen ist«, sagt Kovatsch. Denn im Grunde ist das eine reichlich unangenehme Geschichte. Wie vielerorts fand die Vereinsgründung im Zuge der Gleichschaltungspolitik als Zusammenlegung kleinerer Vereine zu einem Großklub statt. Erster Unterstützer und treibende Kraft der Fusionspläne war der Bochumer NSDAP-Oberbürgermeister Otto Piclum. In der Broschüre heißt es, er habe damit seine Stellung im NS-Apparat stärken wollen. So entstand am 14. April 1938 aus TuS, Germania 06 und dem Turnverein 1848 der Verein für Leibesübungen Bochum.
Aus sportlicher Sicht legte Piclum damit den Grundstein für einen in späteren Jahren durchaus erfolgreichen Klub. 34 Saisons spielte der VfL in der ersten Liga, zweimal sogar im Europapokal. Doch an die eigene Entstehungsgeschichte und deren Vater erinnerte man sich lange Zeit nur ungern. Piclum war ein überzeugter Nationalsozialist: Ihm wird nachgesagt, die Zerstörung der Bochumer Synagoge in der Reichspogromnacht lachend beobachtet zu haben.
Die Erinnerung könnte zukünftig leichter fallen. Die Broschüre der VfL-Anhänger blickt würdevoll auf die Umstände der Gründungsjahre zurück. Und sie weist über den Sport hinaus: Die Autoren haben eine Übersicht gestaltet, in der Erinnerungsorte im gesamten Stadtgebiet verzeichnet sind. Nur zwei davon haben einen unmittelbaren Fußballbezug. Darüber hinaus sind auch die Wohnorte lokaler Widerstandskämpfer verzeichnet, der »Bochumer Verein«, der Tausende Zwangsarbeiter beschäftigte, oder der Nordbahnhof, von dem ab 1942 im großen Stile Deportationen ausgingen.
Die Broschüre stellt zudem ein weiteres Team aus der Ruhrstadt vor. Ende Juni 1938, nur zwei Monate nach der Entstehung des VfL, gewann der TuS Hakoah die Reichsmeisterschaft des Sportbundes Schild, einer von zwei jüdischen Fußballwettbewerben im Deutschen Reich. In regulären Sportvereinen durften Juden schon nicht mehr antreten - auch beim VfL Bochum nicht. Es sollte die letzte Austragung des Wettbewerbs bleiben. Nach der Reichspogromnacht war die Judenverfolgung im Land komplett entfesselt worden.
Das Jahr 1938 ist also in vielerlei Hinsicht einschneidend für Bochumer Fußballbegeisterte. »Wir wollen das Thema Fußball als Aufhänger nutzen«, berichtet Florian Kovatsch, »aber wir verstehen uns auch als Multiplikatoren politischer Bildung.« Das Bochumer Fanprojekt nimmt dabei vor allem eine moderierende und anleitende Rolle ein. Unter den Autoren der Erinnerungsbroschüre finden sich vor allem Personen aus der Fankurve, aus Ultragruppen und alteingesessenen Fanklubs. Und die haben bereits neue Projekte im Visier. Gemeinsam mit anderen VfL-Anhängern werden sie eine Gedenkstättenfahrt ins ehemalige Konzentrationslager Buchenwald organisieren. In Bochum selbst veranstalten sie künftig Stadtrundgänge zu den Orten, die in ihrer Broschüre vorgestellt werden. Auch auswärtige Fans anderer Teams sollen sich dafür anmelden können.
Dieses Angebot dürfte auf Interesse stoßen. Auch aus anderen Städten wurde die Broschüre bereits angefragt. Ein Drittel der 1500 gedruckten Exemplare ist das Fanprojekt schon losgeworden. Und auch einige Bochumer wurden schon zum Nach- und Gedenken angeregt. In den kommenden Wochen dürften es noch viel mehr werden. Und wenn die VfL-Fans demnächst wieder die Castroper Straße zum Stadion entlanglaufen und die neue Synagoge passieren, tragen die Mahnungen der Vergangenheit vielleicht schon Früchte. »Es ging auch darum, ein Zeichen zu setzen, gegen AfD und HoGeSa«, sagt Kovatsch.
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