• Politik
  • Christliche Symbole in bayerischen Behörden

Für ein paar Prozent mehr

Bayerns Ministerpräsident will mit seiner Kreuzpflicht für Landesbehörden einen religiösen Kulturkampf à la 1995 provozieren

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 5 Min.

Zu den ärgerlichsten Phrasen des Politbetriebes zählt die Rede von der »christlich-jüdischen Kultur« des Abendlandes. Nicht nur, weil sie so durchsichtig auf die Ausgrenzung derjenigen zielt, die derselben vordergründig nicht zugeordnet werden können oder sollen. Sondern auch, weil sie gleich dreifach unsinnig ist.

Erstens definierte sich die christliche Kultur über Jahrhunderte geradezu in der Ausgrenzung und Verfolgung der jüdischen Diaspora. Zweitens musste all das, was mit der Redewendung ja mitgemeint sein soll - Demokratie, Menschenrechte, Rationalität, Aufklärung, Wissenschaft und so weiter - der »christlichen Kultur« in langen Kämpfen abgetrotzt werden. Und drittens wäre, wenn man sich denn minimal für Kulturgeschichte interessierte, immerhin eins zu registrieren: Die vom Christentum zunächst so hartnäckig bekämpften Wissenschaften stammten in erheblichen Teilen entweder aus dem arabisch-osmanischen Raum oder hatten dort als Erbe der griechischen Antike überwintert, bis man sie in der früheren Neuzeit in den »Westen« importierte oder »wiederentdeckte«. Denn anderswo herrschte, während in Europa Häretiker gefoltert und Hexen verbrannt wurden, ein offeneres Klima.

Wer nun meinte, dieses Niveau an Klitterung sei kaum noch zu toppen, wurde jetzt eines besseren belehrt: Wenn dieser Tage der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zunächst behauptet, das Kreuz sei gar kein religiöses Symbol, sondern wie Brezeln und Lederhosen ein Merkmal der Bayern-Identität, gelingt das spielend. Wobei es ja wahr ist, dass eine bestimmte Form des Gebrauches religiöser Symbole und Riten allein darauf abzielt, Machtverhältnisse zu zementieren und Folklore zu feiern, statt sich zum Beispiel zu fragen, wie die gar nicht so unsympathische Kunstfigur Jesus wohl auf bestimmte heutige Politiken blicken würde. Diese Banalisierung von Glauben trifft Söder sehr gut.

Darüber hinaus hat Söder seine mit diesem Unsinn begleitete Wahlkampfmaßnahme, ab Juni in jeder Landesbehörde »gut sichtbar« ein Kreuz aufzuhängen, nach öffentlicher - teils kirchlicher - Kritik, sogar noch zugespitzt. Nun gestand er das Offensichtliche zu und sagte, das Kreuz sei zwar schon ein religiöses Symbol. Es gehöre aber auch zu den »Grundfesten des Staates«, weil »die Werte, die im Christentum verankert sind, auch die Basis« für »den säkularen Staat« darstellten.

Damit ist nun erstens der Geschichtsblödsinn perfekt, denn noch die jüngere Vergangenheit strotzt ja nur so von kirchlichen Anmaßungen gegenüber säkularen Rechten: Bischöfe führten, um nur ein eklatantes Beispiel zu nennen, den Widerstand gegen die Aufhebung des Heiratsverbotes für Lehrerinnen, das - wie das Männerrecht, die Arbeitsplätze ihrer Ehefrauen fristlos zu kündigen - in der Bundesrepublik erst Ende der 1950er Jahre vom Tisch war. Von der bis heute anhaltenden Diskriminierung der Scheidung, des Schwangerschaftsabbruchs oder der Homosexualität zu schweigen.

Zweitens legt Söder mit seiner Kampagne selbst Hand an die Grundfesten des Staates, wenn auch schlau dosiert. Denn die Bundesrepublik ist nicht strikt säkular verfasst. In der Präambel des Grundgesetzes wird »Gott« noch vor »den Menschen« angerufen, der Staat treibt als einer der weltweit wenigen Kirchensteuern ein. Auch hängen, was jenseits des Weißwurstwalls oft unbekannt ist, schon heute in fast allen bayerischen Klassenzimmern und Gerichten Kreuze. Zugleich gibt es in Glaubensfragen aber durchaus eine staatliche Neutralitätspflicht.

Gerade auf dieses Spannungsverhältnis will Söder hinaus. Nachdem die CSU nach seiner ersten Regierungserklärung, in der er teure Wahlversprechen etwa in Sachen Familiengeld machte, in Umfragen um immerhin vier Prozent zulegen konnte, könnte er dann vor der Landtagswahl im Oktober einen Kulturkampf führen, um sich als Alternative zur AfD zu zeigen.

Das historische Beispiel, an das Söder denken mag, liegt nun gut 20 Jahre zurück: Rund um das sogenannte Kruzifixurteil schlugen in Bayern die Wellen hoch. Zwei Schüler, die nicht dem Christentum anhingen, hatten sich juristisch gegen das religiöse Symbol in ihren Unterrichtsräumen gewehrt. Ihnen gab das Bundesverfassungsgericht im Mai 1995 insofern recht, als dass es durch das Schulkreuz ihre »negative Glaubensfreiheit« verletzt sah.

Anschließend kam es in Bayern zu Massendemonstrationen. Die CSU nutzte die Gelegenheit für eine beispiellose Kampagne gegen das höchste Gericht, die in der Forderung gipfelte, dieses müsse mit Zweidrittelmehrheit entscheiden. Wider besseres Wissen heizte man die Wut über Wochen an, obwohl alles auf einem Missverständnis basierte. Denn obwohl die alte Fassung des Schulgesetzes für verfassungswidrig erklärt wurde, hatte das Urteil praktisch nur die Konsequenz, dass Kreuze in seltenen Konfliktfällen entfernt werden.

Söder hat seine aktuelle Rhetorik insofern klug gewählt: Er zitiert nur das bayerische Schulgesetz: »Angesichts der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns« sei in »jedem Klassenraum ein Kreuz« aufzuhängen. Das Gesetz hat Bestand, weil es eine Möglichkeit der Konfliktregelung enthält. Auch entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2011 in einem anderen Fall, ein Schulkreuz sei als »passives« Symbol nicht per se unzulässig.

Der »Grenzfall«, den nun von Medien befragte Juristen im Behördenkreuz erblicken, wäre nach dieser Rechtsprechung also keineswegs grundsätzlicher Natur. Es ginge eher darum, ob ausreichende Konfliktmechanismen vorgesehen sind. Publizistische und politische Kritiker Söders sollten es sich gut überlegen, ob sie ihm - wie jüngst die »Zeit« - den Gefallen tun, gleich nach dem Verfassungsgericht zu rufen. Nichts wäre ihm jetzt lieber, als bestenfalls von Muslimen verklagt zu werden.

Kritisieren lässt sich Söders Provokationstour auch anders. Schamlos instrumentalisiert er jeden greifbaren gesellschaftlichen Konflikt. »Aus der Multikulti-Ecke kommt kein hartes Wort gegen den neuen Antisemitismus«, während das Kreuz bekämpft werde, schleudert er grünen Kritikern entgegen. Diese besonders billige Anrufung jenes christlich-jüdischen Abendlandes ist nicht nur bezüglich der Grünen falsch, die in Bayern jüngst erst beschlossen haben, dass die Israel-Boykottbewegung BDS antisemitisch sei. Man muss wohl auch fragen, ob sich Juden wirklich durch Kreuze in Bayerns Behörden sicherer fühlen. Und die auf Muslime zielende Beschwörung des »neuen Antisemitismus« ist Populismus.

Es wurden nämlich entgegen manchen Wahrnehmungen auch 2017 statistisch die allermeisten antisemitischen Taten - 94 Prozent - von Rechtsextremen begangen. Und wer wollte ausschließen, dass darunter Leute waren, die auch für Söders Kreuz auf die Straße gehen würden?

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