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Das nächste Wunderwerk des ewigen Erstligisten

Der Hamburger SV feiert mit dem 3:1 in Wolfsburg seinen dritten Sieg im vierten Spiel

Es gibt einen Schlachtruf im deutschen Fußball, den die Fans des Hamburger SV ganz exklusiv für sich haben. Und wie in fast jeder Spielzeit wird er auch zum Ende dieser Saison immer lauter: »Niemals zweite Liga, niemals«, brüllten 3000 Anhänger des HSV inbrünstig in Wolfsburg. Mit dem 3:1-Sieg am Sonnabend beim VfL bauen die Hamburger weiter an ihrem nächsten Wunderwerk im Abstiegskampf der Bundesliga.

In drei der vergangenen vier Jahre musste der HSV immer bis zum letzten Spieltag zittern. 2014 und 2015 gelang dem ewigen Erstligisten der Klassenerhalt erst in den Relegationsspielen. Auch in diesem Jahr wird die Entscheidung am 34. Spieltag fallen. Aber es spricht einiges dafür, dass sich die Hamburger wieder einmal aus einer fast aussichtslosen Situation noch retten könnte.

Man könnte an dieser Stelle wieder die Inkompetenz und Misswirtschaft der HSV-Vereinsführung thematisieren. Das ist natürlich der Grund, warum der Klub diese Entwicklung genommen hat: ständiger Abstiegskandidat, hoch verschuldet und abhängig von einem launigen Investor. Man könnte aber auch diejenigen loben, die für diese Fehler büßen müssen - und zwar jedes Wochenende, öffentlich, vor Zehntausenden Zuschauern. Nach dem Spiel in Wolfsburg muss man sie loben, die so oft gescholtenen Profis. Angesichts des enormen Drucks zeigte die Mannschaft des HSV eine beeindruckende Leistung: konzentriert und nicht übermotiviert, zweikampfstark, aber nicht unfair, Mut zum Risiko und trotzdem eine geringe Fehlerquote.

Die Hamburger erspielten sich mehr und vor allem bessere Torchancen. Die Führung fiel zwar letztlich vom Elfmeterpunkt. Bobby Wood traf nach 43 Minuten nervenstark zum 1:0. Aber dass Tatsuya Ito nur durch ein Foul gestoppt werden konnte, war auch eine Folge des druckvollen Hamburger Spiels. In der Nachspielzeit der ersten Hälfte köpfte Lewis Holtby nach einer Flanke von Ito den Ball zum 2:0 ins Wolfsburger Netz.

Bezeichnend für die Partie war das dritte Tor der Gäste. Der eingewechselte Luca Waldschmidt konnte in der Nachspielzeit der zweiten Hälfte wieder nur durch ein Foul im Strafraum gestoppt werden. Den Elfmeter hielt der Wolfsburger Torwart Koen Casteels, auch der Nachschuss von Bakery Jatta konnte gerade noch verhindert werden. Weil aber fast alle Wolfsburger unbeteiligt an der Strafraumgrenze stehen geblieben waren, durfte Waldschmidt, fünf Meter vor dem Tor vollkommen freistehend, im dritten Versuch das 3:1 erzielen.

Im gesamten Spiel liefen die Wolfsburger ihren Gegnern nur hinterher: kaum Kampf und noch weniger Leidenschaft. Beim zwischenzeitlichen 1:2-Anschlusstreffer war viel Glück dabei, als der Ball in der 78. Minute nach einem mäßig geschossenen Freistoß von Josip Brekalo den Weg ins Hamburger Tor fand.

Den seelenlosen Auftritt ihrer Mannschaft begleiteten die Wolfsburger Fans schon während des Spiels mit Pfiffen. Denn auch für Wolfsburg geht es noch um Alles: Nach der Niederlage ist der VW-Klub nur noch zwei Punkte vom Vorletzten HSV entfernt.

Als Schiedsrichter Daniel Siebert die Partie abgepfiffen hatte, versuchten einige Wolfsburger Anhänger in den Innenraum des Stadions zu stürmen, konnten aber vor ihrem Block gehalten werden. Ob der aggressiven Stimmung hielten die Spieler einen Sicherheitsabstand von 30 Metern bei der Verabschiedung. Als wenig später Kapitän Maximilian Arnold und Ersatztorwart Max Grün doch noch mal zum Fanblock gingen, kam es nach einem kurzen Handgemenge immerhin zu einer etwas längeren Disput.

Selbst in besseren Zeiten war die fehlende Identifikation einiger Wolfsburger Spieler mit dem VW-Klub schon ein Thema. In einer solchen Situation ist sie von existenzieller Bedeutung. Vieles erinnert an die vergangene Saison. Mit einem 2:1-Sieg gegen Wolfsburg rettete sich der HSV am letzten Spieltag noch auf Platz 14 und schickte Wolfsburg in die Relegation. Jetzt blickt Wolfsburgs Trainer Bruno Labbadia ähnlich ratlos wie seine Spieler auf die letzten beiden Partien und bringt nur Durchhalteparolen: »Wir haben es immer noch selbst in der Hand.«

Hamburg und Wolfsburg haben ähnliche strukturelle Probleme: Zu hohe Ansprüche und eine Führungsschwäche, die daraus resultiert, dass wichtige Entscheidungen auch von Personen außerhalb des Klubs abhängen. In Hamburg ist es Investor Kühne, beim VfL der VW-Konzern. Beide Teams haben in dieser Saison bereits ihren dritten Trainer. Und weil es in der Vergangenheit nicht besser lief, haben sie eine Mannschaft, die nicht gewachsen ist, sondern teilweise wahllos zusammengekauft wurde und deshalb nicht funktioniert. So gibt es auf beiden Seiten etliche Spieler, die als Hoffnungsträger geholt wurden, aber nie wieder ihre alte Form und Leistung erreichten.

Einige Vorteile hat der Hamburger SV aber gegenüber dem VfL Wolfsburg: einerseits die größere Erfahrung im Abstiegskampf, andererseits die Tradition. Dafür kann sich der HSV zwar nichts kaufen, aber sie ist in einem Maße identitätsstiftend und sorgt für eine emotionale Bindung, die in schweren Zeiten anscheinend ungeahnte Kräfte mobilisieren kann.

Diese Vorteile kommen besonders zum Tragen, weil die Mannschaft mit Christian Titz jetzt einen Trainer hat, der aus dem eigenen Verein kommt. Erst trainierte er die U17, dann die zweite Mannschaft des HSV. Er sagt: »Wir müssen die eigenen Stärken in den Vordergrund stellen.« Mit Titz spielen die Hamburger wieder Fußball, wollen Tore schießen - und gewinnen. Mit drei Siegen aus den letzten vier Spielen und zehn Punkten aus seinen sechs Spielen hat der neue Cheftrainer die Hoffnung nach Hamburg zurückgebracht.

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