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Abrechnung mit der »Troika-Giftmischung«

Neues Buch zur Eurokise bietet viel Empirie, klare linke Analyse und scharfe Kritik an der deutschen Wirtschaftspolitik

  • Thomas Trares
  • Lesedauer: 3 Min.

Heiner Flassbeck zählt zu den profiliertesten linken Ökonomen im deutschsprachigen Raum. Schon lange wettert der frühere Finanzstaatssekretär und Chefvolkswirt der UN-Handelsorganisation UNCTAD gegen das hiesige Lohndumping. Deutschland habe damit seine Arbeitslosigkeit exportiert, seine Handelspartner niederkonkurriert und gegen fundamentale Regeln der Europäischen Währungsunion (EWU) verstoßen. Nun hat er ein Buch zu dem Thema veröffentlicht - Titel: »Das Euro-Desaster - Wie deutsche Wirtschaftspolitik die Eurozone in den Abgrund treibt«. Koautor ist Jörg Bibow, der am Levy Economics Institute der UNCTAD forscht und in den vergangenen Jahren viel zum Thema Euro-Krisenmanagement publiziert hat.

Das Buch selbst ist zunächst eine Aufarbeitung der Eurokrise, die vor zehn Jahren zuerst als Konjunktur- und Finanzkrise begann sowie später zu einer Staatsschuldenkrise umgedeutet wurde. Aus Sicht der Autoren ist die Krise bis heute nicht gelöst. Bis auf Irland habe keines der infizierten Länder beim Bruttoinlandsprodukt sein Vorkrisenniveau wieder erreicht. Die Autoren machen dafür die »Troika-Giftmischung« aus Austerität und Lohnsenkungen verantwortlich. Diese Politik »war ein krasses Desaster, speziell für die Eurokrisenländer, aber auch für die Eurozone insgesamt, die bis heute fragil und vom Zusammenbruch bedroht bleibt«, schreiben sie.

Neben Irland analysieren Flassbeck und Bibow auch die Lage in den anderen Krisenländern, sprich in Griechenland, Italien, Spanien, Portugal, Zypern und Lettland. Betrachtet wird außerdem die Entwicklung in Deutschland und Frankreich, den beiden größten Volkswirtschaften der Eurozone. Der Leser muss sich dabei auch auf eine Fülle von Grafiken sowie einige theoretische Ausführungen einstellen, etwa zur Höhe der keynesianischen Multiplikatoren sowie zum Thema »interne Abwertung«. Dies dient dazu, den Erfolg bzw. Nicht-Erfolg der verordneten Krisenmedizin verständlich zu machen.

Das Buch ist aber nicht nur eine Analyse der Eurokrise, sondern vor allem auch eine äußerst deftige Abrechnung mit der deutschen Wirtschaftspolitik. Sie kritisieren scharf die »gezielte Exportförderung bei gleichzeitiger Importbehinderung - mittels innerer Disziplin«. Dabei fallen deutliche Worte. So ist von einem »großdeutschen Merkantilismus« die Rede, von »Trittbrettfahrertum im globalen Exportgeschäft« oder von »Überstrategen des Merkantilismus«, die »nichts von Makroökonomik und Finanzen verstehen«.

Die Strategie der Lohnzurückhaltung indes hat eine lange westdeutsche Tradition. Bereits 1950 hatte der damalige Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard diese in einem Brief an Wilhelm Vocke, seinerzeit Präsident der Bank deutscher Länder, gefordert, die deutsche Wirtschaftspolitik solle sich darauf konzentrieren, die preisliche Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Die »kritische Zutat« hierzu sollte »innere Disziplin« sein. Zum Problem für Europa wurde diese Strategie Jahrzehnte später. »Die Prozesse und Fehlentwicklungen, die durch die deutsche Lohnzurückhaltung in der Zeit ab Mitte der 1990er Jahre bis 2010 angetrieben wurden, bilden die Hauptursache für die bis heute ungelöste Eurokrise«, schreiben Flassbeck und Bibow.

An diesem Zustand wird sich auch so schnell nichts ändern, denn inzwischen ist das deutsche Modell zum Vorbild für die gesamte Eurozone geworden. Selbst Frankreich, das sich lange Zeit an der Stabilitätsnorm der Europäischen Zentralbank (EZB) orientiert hat, ist auf den deutschen Kurs eingeschwenkt. Die beiden Autoren halten die Verfolgung des deutschen Modells für die Eurozone insgesamt für »illusionär«. »Wer auf diese Illusion baut, macht die Rechnung ohne den Wirt - die Weltgemeinschaft wird es auf Dauer nicht tolerieren.«

Alles in allem ist das Buch ein wichtiger Beitrag zur Eurokrise. Es zeigt nicht nur die Ursachen und Symptome auf, sondern liefert auch einen sehr guten Überblick über die Situation in den Krisenländern und kann damit auch gut als Nachschlagewerk zur Eurokrise dienen.

Heiner Flassbeck, Jörg Bibow: Das Euro-Desaster. Wie deutsche Wirtschaftspolitik die Eurozone in den Abgrund treibt, Westend Verlag, Frankfurt am Main, 2018, 224 Seiten, 20 €.

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