Intensivtanz in Finsterwelten

Nacho Duato nimmt seinen Abschied beim Staatsballett mit einer durchwachsenen Version von »Romeo und Julia«

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Das muss man Nacho Duato lassen: Seine Inszenierung von »Romeo und Julia« hat den Mut zu einer eigenen Lesart und gehört damit zu den eher ungewöhnlichen choreografischen Umsetzungen des beliebten Balletts von Sergej Prokofjew. In der Fassung des Intendanten des Staatsballetts Berlin allerdings auch zu den finstersten, nicht zuletzt durch Jaffar Chalabis auf Schwarz abonniertes Bühnenbild und Brad Fields‘ Lichtregie, die mehr verbirgt als zeigt.

Entstanden ist die Inszenierung bereits im Jahr 1998 für die Compañia Nacional de Danza in Madrid, dessen langjähriger Leiter Duato war. In überarbeiteter Form eroberte sie das Michailowski-Theater St. Petersburg, wo Duato vor dem Wechsel nach Berlin als Ballettchef wirkte. Diese in zwei Akte geteilte Version läuft nun für sieben Vorstellungen - dem Vernehmen nach sind alle bereits ausverkauft - und in mehreren Besetzungen an der Lindenoper.

Wie viele andere Adaptionen, die man sah, hat auch diese ihre Vorzüge und Nachteile. Vorteilhaft ist ihr durchgängig tänzerischer Gestus: ganz ohne pantomimische Elemente, mit oft sehenswerten Auflösungen und Übergängen. Dass hier der Tanz jedoch zu oft die Erzählung zuwuchert, ist eine erhebliche Schwäche.

Schmunzeln machen unter wappengeziertem Plafond die anfänglichen Drohgebärden der verfeindeten Clans: Mistgabeln à »La Fille mal gardée« recken die Montagues, Schwerter zücken die Capulets. Auf den Mistgabeln wird gar Tybalt getragen. Düster das Zimmer Julias, erhellt nur von Funzeln, begrenzt von einer Mauer, die diverse Fensteröffnungen ermöglicht und später mit Kreuzesdurchbruch zur Kirche wird. Einziges Lichtwesen in latent gefährdetem Umfeld ist Julia. Als Rose reichender Harlekin stiehlt sich Romeo in ihren Tanz mit Paris. Im Gewusel des Kissentanzes geht diese Begegnung allerdings unter, so wie die kreuchende Funktion der übrigen Harlekine im Hintergrund fast unsichtbar bleibt.

Dass Duato durch permanente Finsternis die Bedrohlichkeit der Situation verdeutlichen will, ist konsequent; dass er geradezu Horror vor Emotionen hat, rächt sich indes in der Balkonszene. Hat schon das Kennenlernen der Liebenden bei Duato recht wenig Atmosphäre, so fehlt es der Balkonszene an Poesie: Auch wenn Julia erst scheu den Arm, dann den Körper durch den Türspalt schiebt, gerät der Pas de deux mit Romeo in all den Schleudern, Bodenrollen und der Fliegerpose zum Technikfestival. Einen Kuss gibt es geahnt nur hinter der Tür.

Den Teil nach der Pause eröffnen die fröhliche Karnevalsszene und die Briefübergabe einer resoluten Amme an Romeo, unterbrochen von der kurzen Vereinigung des Paars durch Lorenzo. Nicht einmal der tödliche Kampf von Tybalt, Mercutio und Romeo vermag zu berühren. Zu wenig werden im gesamten Stück die wesentlichen Momente aus dem Geschehen herausgehoben. Nach dem Mord an Tybalt entweicht Romeo flugs durchs Fenster ins Gemach der Julia. Beider Abschiedstanz gerät wieder zu einer gewuchteten Feier von Technik.

Wenn dennoch in der Inszenierung Dramatik aufkommt, ist das dem Spiel von Polina Semionova als Julia zu danken, etwa wie sie sich gegen die Liaison mit einem farblosen Paris wehrt und vom gewalttätigen Vater dafür misshandelt wird. Die Giftszene wäre die Stunde einer großen Darstellerin: zu zeigen, welche Ängste sie peinigen, ehe sie den Trank einnimmt. Duato gibt ihr indes zwei Tänzer als personifizierten Gifthauch bei, die sie schleppen und umturnen und so in der Rolleninterpretation behindern. Attraktiv gerät das Bild in der Gruft. Durch ein umnebeltes Tor schreitet der Vater, bettet die leblose Tochter auf einem Katafalk, umschwirrt von schwarzen Fahnenschwingern: als Mix aus Dürers Apokalyptischen Reitern und einem Aufzug der Gothicszene. Romeo hat all das am Portal beobachtet und dringt in den dann geschlossenen Raum ein, erhellt nur von einem matten Scheinwerfer. Im Dunkel erledigt er nebenbei Paris, steht unschlüssig, bevor er sich der Toten zuwendet.

Keine Leichenfledderei wie üblich also, rasches Ende der Liebenden, er durch Gift aus einer Ampulle, sie durch seinen Dolch. Auch keine Versöhnung der Familien am Schluss - angesichts der gegenwärtigen Weltlage wohl leider sehr richtig.

Arshak Ghalumyan als Mercutio und Federico Spallitta als Tybalt leisten Beachtliches, weniger überzeugend ist Ivan Zaytsev als Gast vom Michailowski-Theater im Part des Romeo. Reichlich zu tun hat die Gruppe, befeuert von der Staatskapelle unter Paul Connally. Mit dieser letzten abendfüllenden Produktion endet die eher glücklose Intendanz von Nacho Duato. Keines der Werke wird von der neuen Leitung in die nächste Saison übernommen. Der Compagnie hat Duato in seinen vier Jahren kein erkennbares Profil geben noch sie national, geschweige denn international positionieren können. Bis zum Überdruss liefen seine Stücke in allen drei Spielorten. In diese Zeit fällt der gerechtfertige Kampf des Ensembles um bessere Arbeitsbedingungen. Seine ungerechtfertigte Dauer verantworten Andere. Man kann beiden, Nacho Duato wie dem Staatsballett, zukünftig nur mehr Fortune wünschen.

Wieder am 5., 13. und 26. Mai. Tickettelefon 20 60 92 63 0. Näheres unter www.staatsballett-berlin.de

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