Steuern auf die Krankmacher

Bündnis fordert Gesamtstrategie gegen zu viel Zucker, Fett und Salz in Lebensmitteln

  • Grit Gernhardt
  • Lesedauer: 3 Min.

Wasser ist gesünder als Cola, Vollkornbrot sättigt besser als Cornflakes und Schokoriegel sind kein geeigneter Pausensnack. Die meisten Menschen wissen das auch, das zeigen Studien. Doch was in der Theorie so klar scheint, wirkt sich beim Einkaufen und Essen kaum aus. Immer mehr übergewichtige Kinder, Jugendliche mit Altersdiabetes und die rasant steigende Anzahl von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sprechen eine deutliche Sprache. Seit Jahren fordern Ärzte und Verbraucherschützer die Politik zum Handeln auf. Doch bisher verhallten die Warnungen fast ohne Erfolg, kritisierte Kinderarzt Thomas Fischbach am Mittwoch in Berlin. Dort stellte ein Bündnis aus 15 Ärzteverbänden - darunter die Bundeszahnärztekammer, die Deutsche Diabetesgesellschaft (DDG) und der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte -, Krankenkassen sowie der Verbraucherorganisation Foodwatch einen offenen Brief gegen Fehlernährung vor. Der soll zusammen mit den Unterschriften von über 2061 Ärzten am 9. Mai an das Bundeskanzleramt übergeben werden.

Das Bündnis zeichnet darin den dramatischen Anstieg von Adipositas in allen Altersgruppen nach und macht zudem klar, dass die Folgekosten über die Krankenkassenbeiträge früher oder später alle Bürger treffen werden. Ein Zehntel der rund zehn Millionen Versicherten seiner Krankenkasse sei krankhaft übergewichtig, sagte Jens Baas, Vorstandschef der Techniker Krankenkasse. 2017 wurden zudem doppelt so viele Medikamente gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen verschrieben wie noch 2010.

Dass die neue Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) ebenso wie ihre CSU-VorgängerInnen wieder nur Appelle an die Lebensmittelindustrie richtet, statt endlich eine Gesamtstrategie gegen Übergewicht und falsche Ernährung zu entwickeln, kritisierte der Vorstandschef des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch. Klöckner hatte vergangene Woche eine Strategie gefordert und die Lebensmittelindustrie gebeten, ihre Rezepturen freiwillig zu verändern. Sie wolle aber niemandem vorschreiben, was er zu essen habe.

Diese Aussage höre man auch immer wieder von den Herstellern, sagte Kinderarzt Fischbach. Doch das sei ein »falscher Freiheitsbegriff«, denn Eltern sollen laut Grundgesetz für ihre Kinder sorgen und dazu gehöre auch die Möglichkeit gesunder Ernährung. Doch in einer immer dicker machenden Gesellschaft sei es immer schwerer, richtig und gesund zu essen, sagte Dietrich Garlichs von der DDG. Deswegen zielten die Forderungen des Bündnisses auf eine »Wende in der Präventionspolitik«.

Die wichtigsten Schritte dafür seien erstens eine transparente und ehrliche Lebensmittelkennzeichnung, ob nun als Ampel oder in einer anderen für alle Kunden verständlichen Form. Derzeit herrsche statt Aufklärung eher Verwirrung, allein für Zucker gebe es 50 verschiedene Bezeichnungen, so Garlichs. Zweitens müsse Werbung für stark zucker-, salz- und fetthaltige Nahrungsmittel verboten werden, die sich explizit an Kinder richte. Die Selbstverpflichtung der Industrie habe versagt. Drittens fordert das Bündnis Standards für die Schul- und Kitaverpflegung. Es sei schwierig, Kinder über gesundes Essen aufzuklären, wenn der Schulkiosk Schokoriegel und Pommes verkaufe, so Garlichs.

Der vierte Punkt des Forderungskatalogs geht ans Eingemachte: Da freiwillige Verpflichtungen nicht funktionierten, müsse die Politik die Industrie auch über Steuern zwingen, gesündere Lebensmittel herzustellen, heißt es. Denkbar sei, den Mehrwertsteuersatz für Softdrinks anzuheben sowie für Obst und Gemüse auf null zu senken. Das fordert Foodwatch seit Jahren. Darauf angesprochen, ob höhere Steuern auf bestimmte Lebensmittel nicht unsozial seien, weil sie Ärmere stärker benachteiligten, sagte Oliver Huizinga, Kampagnenleiter bei der Verbraucherorganisation, die Mehrwertsteuer sei ohnehin unsozial. Die Erfahrung in Großbritannien, wo seit dem 6. April eine Abgabe auf Softdrinks gilt, zeige aber, dass die meisten Hersteller tatsächlich ihre Rezepturen geändert und nicht die Preise erhöht hätten. Natürlich werde es einen Aufschrei geben wie beim Rauchverbot in Kneipen, sagte der Arzt und Wissenschaftsjournalist Eckart von Hirschhausen. Aber so wie fast niemand das Rauchen in Kneipen vermisse, würden sich alle daran gewöhnen, wenn nur noch halb soviel Zucker in der Limo sei.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.