»Im Mai steht die Friedensfahrt an«

Uwe Ampler vermisst noch heute die große Radrundfahrt, die es 2006 zum letzten Mal gab

Der Mai hat begonnen, über Jahrzehnte hieß das für Sportfans: Friedensfahrtzeit! Vor 70 Jahren gab es die Radetappenfahrt erstmals. Wie präsent ist das Rennen dieser Tage in Ihren Gedanken?

Schon sehr präsent. Es war für uns osteuropäische Fahrer damals ein Saisonhöhepunkt - so wie für die Westeuropäer die Tour de France. Immer wenn der Mai kam, wenn alles blühte und schön bunt aussah, war klar: Die Friedensfahrt steht an!

Zur Person
Uwe Ampler, 54, ist eine Friedensfahrlegende: Trainiert von seinem Vater Klaus, dem 2016 verstorbenen Sieger von 1963, gewann der Mann vom SC DHfK Leipzig das Etappenrennen 1987 bis 1989 drei Mal in Folge – was keinem anderen Fahrer je gelang. Nach der Wende konnte der Amateur-Straßenweltmeister von 1986 keine großen Erfolge mehr feiern. 1998 siegte er bei der nur noch zweitklassigen Friedensfahrt ein viertes Mal – eine »Genugtuung«, wie er Jirka Grahl verriet.

Sie konnten dieses Rennen vier Mal gewinnen: 1987, 1988, 1989, 1998. Welcher Sieg war der Wichtigste?

Wichtig war natürlich jeder Sieg, aber der erste und der vierte ragen vielleicht etwas heraus. Beim ersten Mal war besonders, überhaupt zu gewinnen. Der vierte Gesamtsieg war eine Art Comeback, nachdem ich mich mit der Radsportszene und vor allem dem Team Telekom angelegt hatte: Da war es eine Genugtuung, die Fahrt vor den Telekom-Fahrern zu gewinnen - darunter Toursieger Bjarne Riis.

Wann war Ihre erste Friedensfahrt?

1985. Da bin ich Dritter geworden.

Sie waren auch 1986 dabei, als die Fahrt wenige Tage nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl in Kiew gestartet wurde?

Ja. Nach dem Prolog lag ich da auch vorne und dann hatte ich ziemlich bald einen Schaden am Rad, beziehungsweise hat’s da geregnet und ich bin weggerutscht und habe viel Zeit verloren. Das Fahrerfeld war wegen der Katastrophe sehr klein: 40, 45 Mann. Und wir sind dann für Olaf Ludwig gefahren, der lag vorn im Klassement und Verbandstrainer Wolfram Lindner gab die Order: »Alle fahren für Ludwig!« Und so hat der dann auch gewonnen. Ich bin in den Bergen mit den Spitzenfahrern immer nur mitgefahren und hab denen am Hinterrad gehangen.

Wie wichtig nahm man damals das Mannschaftstrikot? In den Erzählungen der DDR-Medien spielten die blauen Trikots eine herausragende Rolle - der Mythos des Kollektivs!

Ich glaube, der Einzelsieg war auf alle Fälle wichtiger. Es gab unter uns immer das Gerede: Wenn wir am Ende der Tour den Mann in Gelb stellen, kommt der Mannschaftssieg automatisch dazu. Da war schon was dran. Andererseits: DDR, Sowjetunion, Tschechoslowakei, Polen - das waren eben die starken Mannschaften, da kam meist auch der Einzelsieger her. Für uns Fahrer war das Attraktivste der Einzelsieg, definitiv! Auch wenn der DDR-Radsportverband sagte, es ginge um Einzelsieg oder Mannschaftstitel: Quatsch! Es war offensichtlich, dass am Ende immer nur Platz eins der Einzelwertung zählte.

Sie waren auch Olympiasieger 1988 und Straßenweltmeister 1986. Unter all Ihren Siegen: Welcher sticht heraus?

Vielleicht 1987, die spektakuläre Friedensfahrt, die ich ja im Regenbogentrikot des Weltmeisters gefahren bin - mit dem verrückten Anstieg in Harrachov neben der Skisprungschanze: Das war nur so ein asphaltierter Weg neben dem Schanzenauslauf, aber so steil, dass die Leute heute noch davon erzählen.

2006 gab es die Friedensfahrt ein letztes Mal, die 58. Auflage führte von Linz über Karlovy Vary nach Hannover. Mittlerweile gibt es ein Friedensfahrtmuseum - in Kleinmühlingen (Sachsen-Anhalt). Dort wird am Himmelfahrstag, dem 10. Mai, »70 Jahre Friedensfahrt« gefeiert. Sind Sie dabei?

Na klar, da bin ich dabei.

Wie finden Sie das Museum dort?

Gut. Eine schöne Sache, auch wenn Kleinmühlingen nun nicht gerade der Nabel der Welt ist. Man muss froh sein, dass jemand die Initiative ergriffen hat. Es ist schon ein bisschen traurig, wie die Friedensfahrt jetzt dargestellt wird. Als kommunistischer Wettbewerb, über den man besser nicht viel redet.

Sie glauben, dass es eine politische Motivation für die Tatsache gibt, dass die Erinnerung an die Friedensfahrt in vielen Medien keine Rolle spielt?

Ja, finde ich schon. Auch die Sponsorensuche für das Rennen war ja nach der Wende von Anfang an schwierig. Normalerweise müsste doch heute so ein Friedensfahrtmuseum in Berlin, Prag oder Warschau stehen. Und eigentlich müsste es doch auch Leute geben, die den Willen haben und den entsprechenden wirtschaftlichen Hintergrund, die Fahrt wieder zu veranstalten - gerade jetzt, wo alles nach Osteuropa blickt.

Die Fahrt fehlt Ihnen wirklich!

(lacht) Ja, es war für uns schon ein wichtiges Ereignis, definitiv! Aber als einer der Sieger sieht man vielleicht die Dinge auch immer positiver.

Hat sich der Bund Deutscher Radfahrer genug für den Erhalt der Friedensfahrt eingesetzt?

Das habe ich nicht so genau verfolgt, aber ich würde mal eher sagen, nein.

Freuen Sie sich, dass es wenigstens die Deutschland-Tour wieder gibt?

Grundsätzlich freue ich mich über jedes Rennen, das in Deutschland gefahren wird. Aber mich persönlich bewegt jetzt nicht so sehr, ob es die Deutschland-Tour gibt oder nicht.

Was verbindet Sie heute noch mit dem Radsport?

Ich arbeite heute selbstständig als Personal Trainer, dabei habe ich ab und an auch mal mit Radsport zu tun. Ich kümmere mich aber mehr um das Thema Gesundheitsmanagement - auch aufgrund meines schweren Unfalls vor 15 Jahren. Damals steckte ich selbst in so einer Rehaphase. Heute habe ich eine Trainerlizenz für Rehabilitation und Prävention im Sport.

Wie oft steigen Sie noch aufs Rad?

Also ich fahre in der Woche, wenn gutes Wetter ist, etwa drei Mal meine Runde - jeweils immer so um die drei Stunden. Zwischen 75 und 100 Kilometer, das ist dann so meine Strecke. Ab und an habe ich Anfragen von Leuten, die mit mir ausfahren wollen. Wenn dann einer von denen sagt: »Ich will 150 Kilometer fahren!«, ja, dann fahren wir eben 150 Kilometer.

Mit welchen Friedensfahrtkollegen haben Sie heute noch zu tun?

Im Prinzip mit niemandem. Wir waren auch damals, das kann man ehrlich sagen, nicht privat befreundet oder so. Man trifft sich heute nur, wenn Veranstaltungen anstehen wie etwa im Friedensfahrtmuseum.

Ihr 2016 verstorbener Vater Klausgewann die Friedensfahrt 1963. Ihr Sohn Rick (*1989), der sich als Profi versuchte, hat die Tour hingegen nie erlebt. Hat er dennoch eine Beziehung zu dem Rennen?

Schwer einzuschätzen. Er redet nicht von allein darüber mit mir. Wenn, dann sprechen wir eher über Details: Was für Räder wir damals gefahren sind, mit welcher Übersetzung wir in Harrachov den Berg hoch sind.

Welche Übersetzung war’s denn?

39er Kettenblatt, hinten 28er Kranz. Viele Gegner hatten sowas gar nicht dabei. Unser Mechaniker hatte sich die Kränze auch nur geborgt, ich glaube von den Niederländern. Es sollen 32 Prozent Steigung gewesen sein!

Ihr Karriereende war unschön: 1999 eine positive Dopingprobe. Was sagen Sie heute dazu?

Nichts mehr. Es war ein Fehler von mir. Es war nicht gut. Es ist vorbei. Ich habe das abgehakt.

Sie haben eine bewegte Karriere hinter sich. Haben Sie dabei Entscheidungen getroffen, die Sie bereuen?

Von der Sache her nicht. Das Einzige, was ich anders machen würde, wenn ich jetzt noch mal jung wäre, aber das Wissen von heute hätte: Ich würde an das Thema Profiszene anders herangehen als damals. Einfach mit ein bisschen mehr Geduld! Mich nicht so viel von anderen unter Druck setzen lassen! So hätte es vielleicht damals auch klappen können mit einer erfolgreichen Karriere als Profi. Aber wie das eben so ist: Hinterher ist man immer schlauer.

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