Stimmungstest vor dem Unabhängigkeitsreferendum
Ein besonderer Besuch im französischen Pazifik-Überseegebiet Neukaledonien
Dieser Besuch des Präsidenten war von besonderer politischer Bedeutung, denn Anfang November entscheiden die stimmberechtigten Bürger von Neukaledonien in einem Referendum über die Frage Unabhängigkeit oder Verbleib bei Frankreich. Für Macron war es wichtig, die Stimmung vor Ort zu erkunden. Doch wenn die Caldoches, die Nachfahren der französischen Siedler und Kolonialbeamten, hofften, der Staatschef werde eine Wahlempfehlung für den Verbleib im französischen Staatsverband abgeben, so hatten sie sich getäuscht. Auch durch eine farbenfrohe Demonstration von mehreren tausend Caldoches mit ihren Familien ließ sich der Präsident nicht von seiner demonstrativen Neutralität abbringen.
Dabei ist völlig klar, dass Macron viel am Verbleib Neukaledoniens bei Frankreich gelegen ist, weil Paris damit über eine eigene Position für die Verteidigung der französischen Interessen im Pazifikraum verfügt. Die Kanak, die Ureinwohner der Inselgruppe, haben seinen Besuch zurückhaltend verfolgt. Sie repräsentieren wegen der vielen zugewanderten Franzosen nur noch 40 Prozent der insgesamt 245 000 Einwohner. Trotzdem ist der Ausgang des Votums offen. Der erste Volksentscheid über die Unabhängigkeitsfrage 1987 endete noch mit einem deutlichen Bekenntnis zu Frankreich, doch seinerzeit hatte die Nationale Befreiungsfront (FLNKS) die Kanak zum Boykott der Abstimmung aufgerufen.
Inzwischen können auch viele europäischstämmige Einwohner dem Gedanken einer Unabhängigkeit von Frankreich einiges abgewinnen. Denn aufgrund reicher Nickelvorkommen, die allerdings noch erschlossen werden müssen, wäre der Inselstaat wirtschaftlich durchaus existenzfähig. Heute kommt noch ein Drittel des Budgets der autonomen Inselverwaltung als Finanzhilfe aus der Hauptstadt Paris.
Besondere Brisanz hatte Macrons zweiter Besuchstag, denn den wollte der Präsident auf der Insel Ouvéa verbringen - genau an jenem Tag, an dem hier vor 30 Jahren eine Konfrontation von Unabhängigkeitskämpfern und französischen Militärs mit einem opferreichen Blutbad endete. Am 22. April 1988 hatte ein Kommando die Gendarmeriekaserne von Ouvéa besetzt, mehr als 20 Gendarmen als Geiseln genommen und sich mit diesen in eine Grotte zurückgezogen. Dort wurden sie durch französisches Militär belagert. Nachdem Verhandlungen ergebnislos verlaufen waren, wurde die Grotte am 5. Mai gestürmt. Dabei kamen zwei französische Militärs und 19 Kanak ums Leben.
Die Erinnerung daran ist eine offene Wunde für die Ureinwohner. Doch Emmanuel Macron wollte dem nicht wie seine Amtsvorgänger aus dem Wege gehen, sondern vor Ort die Opfer beider Seiten ehren und den Wunsch nach Versöhnung betonen. Seine Rechnung scheint aufgegangen zu sein, denn diese Haltung haben ihm offensichtlich viele Kanak hoch angerechnet.
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