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- Trump und Iran
Lügen für den nächsten Krieg
Werner Ruf warnt vor der Aufkündigung des Atomabkommens mit Iran durch US-Präsident Trump
Erinnern wir uns: Am 5. Februar 2003 präsentierte der damalige US-Außenminister Colin Powell dem UN-Sicherheitsrat eine Power-Point-Präsentation, die LKWs zeigte, in denen der irakische Präsident seine geheimen Chemiewaffen-Labors versteckt haben sollte. Diese inszenierte Farce – für die sich Powell nach dem Ausscheiden aus seinem Amt vor der Weltöffentlichkeit entschuldigte – lieferte die Begründung für den Angriff der USA und ihrer Koalition der Willigen auf den Irak am 20. März 2003. Sie kostete über drei Millionen Menschen das Leben, trieb Millionen in die Flucht und ist die Ursache für die Entstehung der Terrororganisation »Islamischer Staat«.
Benjamin Netanjahus spektakulärer Auftritt am 30. April vor laufenden Kameras wirkt wie ein Abziehbild jener verlogenen Show von Powell. Er kommt so pünktlich wie der Damalige von Powell: US-Präsident Trump hat am 8. Mai das von den fünf Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats und Deutschland ausgehandelte Atomabkommen mit Iran gekündigt und wolkig erklärt, die USA ließen sich nicht zur »Geisel nuklearer Erpressung« machen. Was damit gemeint sein könnte, hat Trumps neuer Sicherheitsberater Bolton schon 2014 gesagt: »To stop Iran’s bomb, bomb Iran!«. Die ersten Reiseziele des neuen Außenministers Pompeo waren Saudi-Arabien und Israel. Seine Erklärungen dort ließen an der Eindeutigkeit anti-iranischer Rhetorik nichts vermissen.
Werner Ruf war bis 2003 Professor für Internationale und Intergesellschaftliche Beziehungen an der Universität Kassel. Er ist heute Mitglied des Gesprächskreises Friedens- und Sicherheitspolitik der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Eine solche Eskalation passt in die sich verschärfende Krisensituation im Nahen Osten. Russland scheint nach Punkten immer mehr Einfluss im Konflikt in Syrien zu gewinnen: Sein Protegé Assad macht erhebliche Geländegewinne, Iran hat seine Beziehungen mit Russland verbessert, die Türkei kauft Waffen beim russischen Rivalen, die mit den NATO-Systemen nicht kompatibel sind, in den kurdischen Gebieten besteht die Gefahr einer direkten militärischen Konfrontation zwischen den NATO-Partnern USA und Türkei.
Gegen die behauptete »schiitische Achse« aus Iran, Assads Syrien und der libanesischen Hisbollah hat sich eine neue Front aus Israel, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten gebildet, die Iran als Machtfaktor im Nahen Osten endgültig ausschalten will. Der fürchterliche, auf Kosten der Zivilbevölkerung geführte Krieg in Jemen ist bereits zum Schauplatz dieser Auseinandersetzung geworden. Wäre da nicht ein massiver Luftangriff der USA, möglicherweise gemeinsam mit Israel, jener Paukenschlag, der zeigen könnte, wer noch immer die entscheidende Macht in der Region ist?
Wie lausig auch immer die von Netanjahu präsentierten »Beweise« sind, wie nachdrücklich auch die Internationale Atomenergiebehörde betonen mag, dass sie keine Vertragsverletzung von Iran feststellen kann, wie sehr die übrigen Ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats, Deutschland und die Europäische Union am Atomabkommen festhalten wollen, all dies dürfte ebenso wenig zählen wie der Artikel 2.4 der UN-Charta, der die Anwendung von Gewalt in den internationalen Beziehungen verbietet. Schon seit Jahren wird das Völkerrecht auf den Haufen der Geschichte gekehrt – Verzeihung: gebombt.
Aber macht die Rückkehr zum Faustrecht die Welt und gar den Nahen Osten sicherer? Hat nicht die Vernichtung der Staatlichkeit in Afghanistan, Irak, Syrien und Libyen gezeigt, welche Folgen solch blinde Gewaltanwendung hat? Warum wird ein offener Brief jener 26 israelischen Spitzenmilitärs und Geheimdienstler nicht gelesen, in dem diese die Kündigung des Abkommens als Gefährdung der Sicherheit Israels bezeichnen? Wäre nicht, ausgehend gerade vom Atomabkommen mit Iran, ein ganz anderer Weg möglich? Gemeint ist hier der seit Jahren von Friedensforschern erarbeitete Vorschlag, im brandgefährlichen Nahen Osten eine atomwaffenfreie Zone einzurichten.
Richtig ist, dass dann auch die israelischen Atomwaffen auf den Verhandlungstisch kämen. Jedoch: So lange Israel auf seinen Atomwaffen beharrt und sich ihren Einsatz vorbehält, wird es das Streben anderer Staaten der Region nach Massenvernichtungswaffen nicht verhindern, sondern beschleunigen. Ein umfassendes Abkommen zur Eliminierung von Nuklearwaffen in der Region würde letztlich aber nicht nur Israel sicherer machen – es könnte auch ein Impuls sein für die Abschaffung dieser vom Internationalen Gerichtshof als völkerrechtswidrig bezeichneten Waffen weltweit.
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