Eisberg-Alarm in London

Superreiche Villenbesitzer aus aller Welt buddeln sich zunehmend in die Tiefe

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 4 Min.

London erlebt aktuell nicht nur ein Fettberg-Problem - Riesenfettklöße aus Zivilisationsmüll in der Kanalisation -, sondern auch das »Eisberg«-Phänomen. Letzteres bezeichnet angesichts immer knapper werdenden Baugrunds den neuen Trend, Wohnhäuser immer tiefer und luxuriöser zu unterkellern. So offenbart auch die gediegenste Villa oberirdisch oft bloß eine Teilansicht, während im Untergrund auf mitunter drei oder vier Etagen - wie beim Eisberg - noch ganz andere Kräfte lauern.

Der »Guardian« hatte bei der Universität Newcastle zu dem gehäuften Phänomen eine Studie beauftragt. Deren Ergebnisse liegen nun vor, nach Prüfung von 4650 genehmigten Bauanträgen zwischen 2008 und 2017. Sie zeigen, dass wir es bei den »iceberg homes« mit dem Appetit von durchweg Superreichen zu tun haben, die vielfach aus Russland, China oder Indien stammen. Und sie verdeutlichen, dass das Buddeln immer üppigere Blüten treibt, die im Lichte der Not bei bezahlbarem Wohnraum in London umso merkwürdiger wirken. Die Labour-Unterhausabgeordnete Emma Dent Coad für den Stadtteil Kensington-Chelsea, eine der »besten« Adressen für »iceberg homes«, erwähnte, dass der örtliche Stadtrat schon mal einen dreigeschossigen Keller mit Swimmingpool und Sprungturm genehmigte und ergänzte: »Ich verstehe, wenn eine wachsende Familie mehr Platz braucht. Doch etwas anderes ist es, wenn jemand, der oft nur selten anwesend ist, unter seiner Villa eine ganze Badelandschaft mit künstlichem Strand anlegt.«

Statistisch ermittelte die Studie fast tausend Fitnessräume, 376 Swimmingpools, 456 Heimkinos, 381 Weinkeller, 547 Medienräume, 242 Trockensaunen und Dampfbäder, 115 Schlafräume für Kindermädchen und Au-pairs, 63 Tiefgaragen sowie ein »Museum für Oldtimer«. Zu den exotischsten Entwürfen, vielfach mit enormem Bauaufwand sowie beträchtlichem Lärm und Schmutz unter bestehende Gebäude getrieben, zählt ein Anwesen, das sich bis 18 Meter tief erstreckt und unten tatsächlich größer als der oberirdische Rest der Villa ist. Sir Hugh Cortazzi, früherer Botschafter Ihrer Majestät in Japan, bewohnt mit Frau ein Haus im begehrten Stadtteil St. John’s Wood, wo sich auch die berühmten Abbey-Road-Studios befinden. Der Umfang der »Ausgrabungsarbeiten« in der Nachbarschaft in den letzten Jahren hat Cortazzi zufolge die Wohnqualität stark beeinträchtigt. »Es ist deprimierend. Riesige Lkw für die Beseitigung des Aushubs blockieren ständig unsere kleine Straße. Ich fürchte, die Nachfrage nach solchen Unterkellerungen wird weiter steigen.«

Eine der extravagantesten Planungen gibt es in Holland Park, ebenfalls Kensington-Chelsea, wo auf drei Geschossen Schwimmbad, separates Sprungbecken, künstlicher Strand, Trockensauna, Dampfbad, Jacuzzi, Medienzimmer, Fitnesshalle und Dienstbotenräume bestehen. In einem anderen Untergeschoss - unter einem bereits vorhandenen Keller - über weitere drei Etagen in Mayfair (Bezirk Westminster) erhielt ein Eigentümer Freigabe für Pool, Kino, Garage, Trockensauna, Dampfbad und Tanzsaal. Ein »Keller« in Primrose Hill im Bezirk Camden umfasst Türkisches Bad, Römisches Bad, Raucherzimmer, Schwimmbad, Sprungbecken, Sauna, Massageraum, Kino, Spielzimmer, Bar, Weinkeller, Raum für Pilates, Turnhalle, Bankettsaal.

Manche der Nobeladressen könnten heute zu den Stationen einer Besichtigungstour der anderen Art gehören: Londons erste »Kleptokraten-Tour«. So tauften die Veranstalter, Exilrussen um den Antikorruptions-Aktivisten Roman Borisovich, ihre Tour. Sie fährt Prunkvillen im Stadtgebiet an, die superreichen Russen und Ukrainern gehören, die in in stattlicher Zahl in London an Land gegangen sind. Viele Quartiere stehen die meiste Zeit leer. Ihre Eigentümer kommen nur alle paar Monate vorbei oder besitzen die Häuser bzw. Appartements als reine Geldanlage.

Diese »Piccadilly-Patrioten« mit oft kurzem Draht nach Moskau schätzen Betongold an der Themse als sicheren Hafen für zauberhaft erworbene Millionen. Sie sehen in London - Skripal-Affäre hin oder her - einen begehrten Fluchtpunkt. Seine Attraktivität, die aus enormen Steuervorteilen, aber auch aus der Verfügbarkeit von Personal und Leibwächtern, ausgebufften Finanzberatern und exzellenten Schulen für die Kinder rührt, trägt dazu bei, dass London, wie ein Insider es nennt, allmählich zur Immobilien-Bank mutiert. In ihr parke das obere eine Prozent der globalen Geldelite sein Vermögen in Häusern - gewöhnlich über, nicht selten unter der Erde.

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