Leichter Rückgang im Vergleich zu 2016
Behandlungsfehler
Die Zahl der festgestellten Behandlungsfehler in Krankenhäusern und Praxen in Deutschland ist im Jahr 2017 nach Daten der Ärzte leicht gesunken. Bestätigt wurden 2213 Fälle - nach 2245 Fällen im Jahr 2016, so die Bundesärztekammer. Zum Tod von Patienten führten Behandlungsfehler demnach in 62 der festgestellten Fälle (2016 waren es 96 Todesfälle).
Die meisten Beschwerden bei den Gutachtern und Schlichtungsstellen der Ärzteschaft betrafen Operationen an Knien und Hüftgelenken sowie Eingriffen wegen Brüchen von Unterschenkel und Sprunggelenk.
Was kann beispielsweise passieren?
Oft ist mangelnde Absprache in Kliniken für Probleme verantwortlich. Das zeigen Fälle, die medizinisches Personal anonym im Internet meldet, um aus Fehlern zu lernen. So sollte bei einem Patienten eine Hüfte ersetzt werden. Der Patient liegt bereits in Narkose, als der Pflegekraft im OP auffällt, dass ein unentbehrliches Instrument für die OP fehlt. Der Patient wird aus der Narkose geweckt - das Instrument war zur Reparatur gegeben worden. Eine entsprechende Markierung war aber nicht aufgefallen. Fälle aus allen Bereichen veröffentlicht die norddeutsche Schlichtungsstelle der Ärzteschaft.
Was sind typische Probleme?
Vor allem falsch diagnostizierte oder gar nicht entdeckte Leiden. In Praxen sind Probleme bei der Diagnostik die häufigste festgestellte Fehlerursache, in Kliniken die zweithäufigste.
Weswegen beschweren sich Patienten am häufigsten?
Besonders in Zusammenhang mit Knie- und Hüftgelenksarthrosen sowie Unterschenkel- und Sprunggelenkbrüchen. Patienten merken Beeinträchtigungen der Extremitäten sehr viel schneller als zum Beispiel eine fehlerhafte Medikamentengabe.
Stehen Patienten wegen möglicher Fehler allein da?
Lange beklagten Patientenvertreter, Betroffene träfen bei Ärzten oft auf eine Mauer des Schweigens. Das hat sich laut Aktionsbündnis Patientensicherheit gebessert. Das Thema ist keine Geheimwissenschaft mehr. Patienten fragten oft schon vorher, wie es in einer Klinik um die Handhygiene bestellt oder wie hoch die Fehlerwahrscheinlichkeit sei. Offenheit, Transparenz, Checklisten bei Operationen, Fehlermeldesysteme - so soll laut Experten die Sicherheitskultur weiter ausgebaut werden.
Was kann man bei konkretem Fehlerverdacht tun?
Patienten, die mit einer Behandlung nicht zufrieden sind und einen Arztfehler vermuten, können dies mit dem außergerichtlichen Verfahren der Ärztekammern kostenfrei abklären lassen. Dabei sind Jura- und Medizinfachleute beteiligt. Die Dauer der Verfahren liegt den Angaben zufolge bei 16 bis 17 Monaten. Auch danach steht Patienten noch der Weg einer Klage offen. Wie viele Patienten direkt vor Gericht ziehen, ist unbekannt.
Die Ärzteschaft wirbt für ihre Schlichtungsstellen und Gutachter. Die stünden in ihren Beurteilungen nicht auf der Seite verdächtigter Ärzte, kosteten Patienten nichts und handelten mit Verfahren unter eineinhalb Jahren relativ schnell. Maßstab der Prüfungen ist dabei, ob eine Behandlung dem aktuellen »anerkannten Standard« entsprach. Darin fließen etwa Forschungsveröffentlichungen, Richtlinien und Herstellerangaben ein.
Wie kann geschädigten Geschädigten schneller geholfen werden?
Durch einen Patienten-Entschädigungsfonds. Vorschläge dazu will die Regierungskoalition prüfen. Patientenvertreter Hardy Müller fordert, die Möglichkeiten dazu gründlich zu diskutieren und eine Probephase zu starten. Dass bei einer Fondsentschädigung unabhängig vom Verursacher die Schuldfrage in den Hintergrund rücke, könne die Sicherheitskultur stärken, weil sich niemand in die Ecke gedrängt fühle.
Was beklagen Experten, welche Forderungen erheben sie gegenüber dem Gesetzgeber?
Ärztekammern, Krankenkassen und Gerichte sammeln Behandlungsfehler weiter nebeneinander her, beklagt Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Die Gesamtzahl der Behandlungsfehler lasse sich nur schätzen. Nötig sei daher ein bundeseinheitliches Zentralregister. Hier müssen nicht nur die ärztlichen Behandlungsfehler, sondern auch alle Fehler in der Pflege erfasst werden. Nur eine umfassende Statistik zeigt, wo es schief läuft und wo Gegenmaßnahmen wirken. Auch Fehler bei der Zusammenarbeit von Ärzten und Pflegern können so besser aufgedeckt werden.
Der Gesetzgeber sei dringend gefordert, die Patientenrechte bei Behandlungsfehlern zu stärken. Die Beweislast muss zugunsten der Opfer umgekehrt werden. Es kann nicht sein, dass allein der Patient den schwarzen Peter hat. Er muss den Fehler beweisen, doch die Fakten liegen bei den Krankenhäusern und Ärzten. Es fehle noch immer ein Härtefallfonds, der bei tragischen Behandlungsfehlern sofort greift. dpa/nd
Positive Bilanz auch in Berlin und Brandenburg
Nach Angaben der Berliner Ärztekammer gab es im vergangenen Jahr 64 Fällen, bei denen ein Behandlungsfehlers anerkannt wurde. In 195 Verdachtsfällen konnte Ärzten hingegen kein Fehler nachgewiesen werden. Die Werte veränderten sich im Vergleich zu 2016 nur geringfügig. Ungefähr jeden vierten geprüften Fall erkannten die Schlichter als Behandlungsfehler an. Die Quote von 24,7 Prozent ist die geringste der vergangenen Jahre.
Insgesamt gingen 2017 etwas weniger neue Vorwürfe zu Berliner Ärzten bei der Schlichtungsstelle ein: 447 nach 503 im Jahr zuvor. Bei einem großen Teil der möglichen Fehler kommt es regelmäßig aber gar nicht erst zum Schlichtungsverfahren, weil die Anträge zurückgenommen werden und weil der Arzt oder die Versicherung einer Schlichtung nicht zustimmten.
In Brandenburg hat sich die Zahl der Beschwerden, die zur Überprüfung bei der Schlichtungsstelle der Norddeutschen Ärztekammern in Hannover eingingen, im Jahr 2017 mit 233 Anträgen gegenüber 251 im Jahr 2016 verringert. In mehr als einem Drittel der Fälle bejahten die Gutachter einen Behandlungsfehler. Damit lag die Quote mit rund 36 Prozent über der des Vorjahres (27 Prozent).
Fehler oder Mängel in der Risikoaufklärung
Jeder Fehler sei einer zu viel, betonte die Ärztekammer. Gemessen an jährlich 19,5 Millionen Behandlungen in Krankenhäusern und rund einer Milliarde Arztkontakten in Praxen liege die Zahl bestätigter Fälle aber im Promillebereich.
Ursache für Gesundheitsschäden waren Fehler oder Mängel in der Risikoaufklärung laut Statistik nun in 1783 Fällen - nach 1845 Fällen im Jahr zuvor. Drei Viertel der Beschwerden wegen möglicher Behandlungsfehler betrafen Krankenhäuser, ein Viertel Arztpraxen.
Insgesamt trafen die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen für außergerichtliche Lösungen im vergangenen Jahr bundesweit 7307 Entscheidungen zu mutmaßlichen Fehlern (2016 waren es 7639). Dafür beurteilen Experten, inwiefern eine Behandlung zum jeweiligen Zeitpunkt dem anerkannten medizinischen Standard entsprochen hat.
Neben der Ärzteschaft gehen auch die Medizinischen Dienste der Krankenkassen Behandlungsfehlern nach. Im Jahr 2016 erstellten sie rund 15 000 Gutachten, in knapp jedem vierten Fall wurden Fehler bestätigt.
Schaffung eines bundesweiten Zentralregisters nötig
Wie viele Patienten sich direkt an Gerichte, Anwälte oder Versicherungen wenden, ist unbekannt. Nach Schätzungen der Ärzte dürfte die Beschwerdezahl etwa bei 40 000 pro Jahr liegen. Die Dunkelziffer dürfte beträchtlich höher liegen. Deshalb fordert die Deutsche Stiftung Patientenschutz die Schaffung eines bundesweiten Zentralregisters. Nur eine umfassende Statistik zeige rasch, wo es schief laufe und wo Gegenmaßnahmen wirken könnten.
Der Geschäftsführer des Aktionsbündnisses Patientensicherheit, Hardy Müller, sagte: »Es gibt zu viele Fälle, und es gibt Instrumente dagegen, die wir anwenden können.« Wichtig sei, dass alle Beteiligten die Sicherheitskultur weiterentwickelten.
Für die Bundesärztekammer warnte der Vorsitzende der Konferenz der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen, Andreas Crusius, Medizinern wegen Fehlern pauschal Pfusch vorzuwerfen. Es sei keine hohle Phrase, dass die Sicherheit ihrer Patienten für Ärzte immer an erster Stelle stehe. Zwischen Heilen und Schaden liege bei Behandlungen aber generell ein schmaler Grat. Crusius betonte allerdings, dass »Behandlungsdruck Behandlungsfehler begünstigen kann«. dpa/nd
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.