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  • Debatte über Polizeiaufgabengesetz

Autoritärer Staatsumbau

Mathes Breuer vom Republikanischen Anwaltsverein kritisiert das bayerische Polizeigesetz

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 5 Min.

Am Dienstagabend sollte das bayerische Polizeiaufgabengesetz im Landtag beschlossen werden. Ist es verfassungskonform?

Man muss berücksichtigen, dass das Polizeiaufgabengesetz bereits in den vergangenen Jahren mehrmals verschärft wurde. 2016 mit dem Integrationsgesetz, dann 2017 mit dem Gefährdergesetz und jetzt wieder. Ich gehe davon aus, dass das Gesetz in seiner finalen Form in weiten Teilen nicht mehr verfassungskonform ist.

Mathes Breuer
Mathes Breuer ist Strafverteidiger, Mitglied im Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein und Teil der Kanzlei Wächtler und Kollegen in München, die eine Klage gegen das bayerische Polizeiaufgabengesetz prüft. Im Gespräch mit »nd« warnt er davor, dass das neue Gesetz umfassend in Bürgerrechte eingreift und Unschuldige gefährdet. Mit dem Anwalt sprach Sebastian Bähr

Welche Punkte verstoßen aus Ihrer Sicht gegen das Grundgesetz?

Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Ein wesentlicher Punkt ist die unbegrenzt mögliche Gewahrsamnahme für angebliche Gefährder, daneben gibt es aber auch etwa Aufenthaltsverbote und eine Ausweitung der Überwachungsmaßnahmen. Es ist jedoch das Gesamtbild, das beunruhigt. Die Polizei hat nun so viele Eingriffsmöglichkeiten in die Rechte der Bürger, dass diese gar nicht mehr wissen können, wann, wo und warum sie überwacht werden. Das zieht erhebliche Konsequenzen nach sich. Wenn jemand das Gefühl hat, dass er überwacht wird, passt er sein Verhalten an.

In der Kritik steht vor allem der Begriff der »drohenden Gefahr«. Was hat es damit auf sich?

Die drohende Gefahr ist ein Begriff, der aus der Terrorbekämpfung stammt und den das Bundesverfassungsgericht in diesem Zusammenhang gesetzt hat. Bisher war in der alltäglichen Polizeiarbeit die konkrete Gefahr der Maßstab der Dinge. Durch die drohende Gefahr wird nun faktisch die Handlungskompetenz der Polizei immer weiter ins Vorfeld verlagert und die Behörde damit einem Geheimdienst angenähert. Mit diesem Begriff will die Staatsregierung diese Grenze gezielt verwischen. Dies öffnet Willkür Tür und Tor. Je weiter die Polizei im Vorfeld ermittelt, desto weniger konkret kann sie sagen, ob jemand wirklich gefährlich ist, oder sie sich aufgrund von Indizien etwas zusammenreimt.

Sie gehen davon aus, dass das Gesetz auch Unschuldige treffen wird?

Da bin ich mir sehr sicher. Es ist bereits jetzt so, dass die bayerische Polizei erwiesenermaßen gegen Leute vorgeht, die friedliche und ungefährliche Absichten haben. Durch die Gesetzesänderung und die unklare Begriffsdefinition wird das noch ausgeweitet. Die Maßnahmen werden nicht mal im Hauptteil Terroristen betreffen, sondern ganz normale Bürger.

Kann man so ohne Weiteres die Trennung zwischen Geheimdienst und Polizei aufheben?

Die Erfahrungen aus der Vergangenheit sind leider etwas Vergängliches. Durch die gemeinsamen Verbunddateien von Polizei und Geheimdiensten gibt es bereits eine wachsende Zusammenarbeit jener Behörden, wie man beispielsweise beim G20-Gipfel sehen konnte. Es ist ein allgemeiner Trend, bei dem sich die CSU nur an die Spitze setzen will.

Welche Gefahr droht durch das Polizeiaufgabengesetz für Demonstrationen?

Das Polizeiaufgabengesetz betrifft mit seinen veränderten Befugnissen nicht konkret das Versammlungsgesetz. Was aber der Fall sein kann, ist, dass diese ganzen Maßnahmen beispielsweise im Vorfeld von Großprotesten, Gipfelprotesten oder größeren Nazi-Demonstrationen, durchaus eingesetzt werden. Wenn die Polizei davon ausgeht, es gebe die Gefahr von Ausschreitungen, kann sie vorher mit Aufenthaltsverboten und Telefon- wie Computer-Überwachung gegen Aktivisten vorgehen.

Wie umfangreich sind die neuen Befugnisse zur Kommunikationsüberwachung?

Grundsätzlich sind die Überwachungsmaßnahmen in Bayern schon länger zulässig. Neu ist, dass sie fortan eben auch bereits bei einer drohenden Gefahr eingesetzt werden dürfen. Es ist noch nicht abzuschätzen, wie weit das greift. Die Große Koalition hatte erst im vergangenen Jahr die Überwachung von Handys und Computern im Rahmen der Strafverfolgung erlaubt. Und jetzt sollen diese Instrumente schon präventiv eingesetzt werden.

Seehofer hat angekündigt, das bayerische Polizeiaufgabengesetz als Mustergesetz nutzen zu wollen. Welche Gefahr geht hiervon aus?

Auch wenn es nur ein Vorschlag ist und die Länder noch anpassen können: Ein Mustergesetz setzt Maßstäbe. Selbst wenn Länder einzelne Regelungen liberaler auslegen, bedeutet es immer noch massive Einschränkungen für Bürgerrechte.

Kritiker beschreiben das neue bayerische Polizeiaufgabengesetz als das härteste seit 1945. Warum kommt es gerade jetzt?

Den Zugriff, den die Polizei bereits jetzt schon auf Daten hat, verschafft ihr auch ohne dieses Gesetz den größten Kontrollzugriff auf die Bevölkerung seit 1945. Ich gehe davon aus, dass es bei dem neuen Polizeigesetz nicht so sehr darauf ankommt, aktuelle Gefahren zu bekämpfen, sondern präventiv für kommende, politische Krisen gerüstet zu sein. Seien es Terrorismus oder politische Proteste, die Machtstrukturen in Frage stellen. Alle möglichen Gefahren werden dabei mit einer polizeilichen Brille betrachtet: mit genügend Überwachung könne man das lösen.

Besteht dadurch nicht die Gefahr einer autoritären Entwicklung?

Natürlich. Aber wenn man das freundschaftliche Verhältnis der CSU zu der ungarischen Orban-Regierung sieht, scheint ein autoritärer Staatsumbau gerade ihr Ziel und kein Ausrutscher zu sein.

Auch die AfD könnte bei einer zukünftigen Regierungsbeteiligung auf diese Instrumente zugreifen.

Ich finde es schon angsteinflößend genug, wenn die jetzige Staatsregierung, die eine Bekämpfung von Geflüchteten zu ihrer Aufgabe erklärt hat, über diese Daten verfügt. Was passiert, wenn eine Partei, die mehr oder weniger offen mit Neonazis zusammenarbeitet, oder auch Polizisten, die sich dieser Partei nahe fühlen, Zugriff auf diese Informationen haben, will ich mir nicht ausmalen.

Es wird wohl Klagen vor Karlsruhe gegen das Gesetz geben. Wie schätzen Sie die Erfolgschancen ein?

Da ich auf der anderen Seite stehe, kann ich nur garantieren, dass es diese Klagen geben wird. Sicherlich werden einzelne Vorschriften vom Verfassungsgericht beanstandet werden. Ich warne jedoch davor, immer darauf zu hoffen, dass die letzte Instanz Verfassungsgericht das schon alles regeln wird. Man muss vorher auf politischer Ebene eine Veränderung herbeiführen, anstatt in Karlsruhe auf ein paar letzte Korrekturen zu hoffen.

Die CSU argumentiert, dass eine Gesetzesverschärfung für die Sicherheit notwendig ist. Können Sie das nachvollziehen?

Die Landesregierung hat bis heute keine Beispiele vorgetragen, wo die bisherigen Verschärfungen die Sicherheit erhöht haben. Bei vergangenen Anschlägen hätte man mit den bestehenden Gesetzen viel machen können. Eine absolute Sicherheit wird es aber nicht geben, egal wie scharf Gesetze gemacht werden. Die aktuellen Proteste zeigen, dass viele Menschen mehr Angst vor einer totalen Überwachung als vor der abstrakten Gefahr eines Anschlags haben.

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