Werbung
  • Politik
  • Verschärfung der Polizeigesetze

Bayern macht den Anfang

Verschärfung des Polizeigesetzes beschlossen - viele Bundesländer werden folgen

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 4 Min.

Derzeit verschärfen zahlreiche Bundesländer ihre Polizeigesetze. Doch kein Land geht dabei so weit wie Bayern. Im Freistaat dürfen Polizisten mutmaßliche Gefährder demnächst unbegrenzt in Gewahrsam nehmen und sich Zugang zu privatesten Daten verschaffen. Schon bei einer »drohenden Gefahr« können die Beamten zukünftig ihre erweiterten Rechte und Spionage-Instrumente einsetzen. Denn trotz heftiger Proteste von Bürgerrechtsgruppen, Juristen und Opposition verabschiedete der bayerische Landtag am Dienstagabend mit den Stimmen der regierenden CSU das neue Polizeiaufgabengesetz. SPD, Grüne und Freie Wähler votierten dagegen.

Im Landtag ging es hoch her, auch weil es der außerparlamentarische Protest in den Plenarsaal geschafft hatte. Zumindest auf die Besuchertribüne, wo eine Gruppe junger Protestierer lautstark skandierte: »Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Freiheit raubt.« Der Landtags-Vizepräsident Reinhold Bocklet (CSU) ließ die Gruppe vor die Tür setzen. CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer räumte daraufhin ein, dass es Sorgen und Verunsicherung wegen der Gesetzesneufassung gebe.

Diese nehme die CSU aber ernst. Wie ernst seine Partei die Sorgen nimmt, bewies CSU-Ministerpräsident Markus Söder: Der frisch gebackene Landesvater beließ es bislang bei warmen Worten. Mit einer »breiten Informationsoffensive« will er für sein Gesetz werben. Zudem soll eine Kommission die Umsetzung des Gesetzes begleiten und überprüfen. Wer in diesem Gremium sitzen soll ist unklar. Ebenso welches Gewicht die Prüfberichte der Phantom-Mitglieder haben werden.

Die SPD-Landesvorsitzende Natascha Kohnen warf der CSU vor, die Kritik protestierender Bürger nicht ernst zu nehmen: »Sie tun gerade so, als ob die Menschen nicht in der Lage wären, selbst zu denken und selbst zu entscheiden.«

Die Grünen-Landtagsfraktionschefin Katharina Schulze betonte: »Wir haben die niedrigste Kriminalitätsbelastung in Bayern seit 30 Jahren und trotzdem wollen Sie die Freiheitsrechte massiv einschränken.«

Selbst die konservativen Freien Wähler gingen auf Distanz zum Gesetz. »Erst hängen, dann reden«, sagte die Abgeordnete Eva Gottstein mit Blick auf Söders ominöse Kontrollkommission. Gottstein ergänzte: »Ich kenne keinen einigen Amoklauf der vergangenen 20 Jahre, der durch diese neuen Befugnisse hätte verhindert werden können.«

Derweil fürchten Kritiker, dass die Auswirkungen des Gesetzes nicht auf den Freistaat beschränkt bleiben. »Weil es eine Blaupause für den Bundesinnenminister (CSU) werden dürfte, handelt es sich um ein nationales Politikum«, warnte der Netzaktivst Sascha Lobo am Mittwoch in seiner Kolumne für »Spiegel Online«.

Der bayerische Entwurf könnte auch jene Bundesländer inspirieren, die ihre Polizeigesetze gerade überarbeiten. Dazu sind sie gezwungen, denn die Gesetze sollen an den europäischen Datenschutzvorgaben neu ausgerichtet werden. Zudem müssen die Länder rechtliche Anpassungen vornehmen an ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Im April 2016 hatte Karlsruhe große Teile des BKA-Gesetzes zur Terrorismusbekämpfung für verfassungswidrig erklärt, weil die Befugnisse des BKA zur heimlichen Überwachung die Grundrechte der Bürger verletzten.

Anders als von der Richtern intendiert, nutzen viele Länder das Urteil, um ihre Polizeigesetze weiter zu verschärfen und Grundrechte einzuschränken. Wohlmöglich wird sich Karlsruhe demnächst mit zahlreichen Klagen gegen die Landesgesetze beschäftigen müssen. Im Falle Bayerns kündigten gleich mehrere Akteure an, entsprechende Klagen einreichen zu wollen. So der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP), der bereits das BKA-Gesetz zu Fall gebracht hatte. Gegenüber der »Frankfurter Rundschau« erklärte der Liberale, dass Karlsruhe die »Verlagerung von präventivpolizeilichen Befugnissen in ein Vorfeld drohender Gefahr« nur in einem Fall zugelassen habe: »der Bekämpfung von Terrorismus«. Jetzt aber solle »diese Schwelle für normale Kriminalität gesenkt werden. Das heißt, der unbescholtene Bürger gerät ins Visier der Polizei«, so Baum.

Dass Bayern kein Einzelfall ist, zeigt das Beispiel Sachsen. Dort will die schwarz-rote Landesregierung per Gesetz die Befugnisse zur Überwachung terroristischer Gefährder erweitern und Einsatzkräfte mit durchschlagskräftigen Waffen ausrüsten. So sollen Spezialeinheiten auch Maschinengewehre erhalten, wie der MDR vor wenigen Tagen meldete.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.