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  • Bombenanschlag in Düsseldorf Wehrhahn

Angeklagter Ralf S. auf freiem Fuß

Nach mehr als drei Monaten im Wehrhahn-Prozess wurde der mutmaßliche Attentäter und Neonazi überraschend aus der Untersuchungshaft entlassen

  • Sebastian Weiermann
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist 18 Jahre her, dass am S-Bahnhof Wehrhahn in Düsseldorf eine Bombe explodierte. Seit Ende Januar steht ein Neonazi als mutmaßlicher Attentäter vor Gericht. Doch nun hat das Landgericht ihn aus der Untersuchungshaft entlassen. Der Grund: kein dringender Tatverdacht. Unabhängige Prozessbeobachter sehen die Entlassung von Ralf S. kritisch.

Als der Angeklagte vor mehr als einem Jahr verhaftet wurde, war die Zufriedenheit bei vielen groß. Polizei und Staatsanwaltschaft schätzten sich glücklich, einen politisch brisanten Anschlag aufgeklärt zu haben. Im Landtag klopften sich die meisten Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses, der auch andere rechtsterroristische Taten im Bundesland beleuchten sollte, auf die Schultern. Sie hätten Druck gemacht und damit zur Aufklärung der Tat beigetragen. Und Antifaschisten aus Düsseldorf waren froh, dass ihr Verdacht von vor 17 Jahren sich bestätigte.

Am 27. Juli 2000 war eine Bombe am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn explodiert und hatte zehn Menschen zum Teil schwer verletzt. Ein ungeborenes Kind starb. Da es sich bei den Opfern um überwiegend jüdische Sprachschüler aus Osteuropa handelte, sorgte der Anschlag für große Empörung. Er war einer der Gründe für die Ausrufung des »Aufstands der Anständigen« des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder.

Nun, mehr als ein Jahr nach der Festnahme von Ralf S. und nach mehr als drei Monaten Verhandlung gegen ihn, stehen alle wieder mit leeren Händen da. Von Beginn an war klar, dass es sich um einen Indizienprozess handelt. Ralf S. gestand die Tat nicht und auch an eindeutigen Beweisen fehlte es. Aber die Staatsanwaltschaft hatte – wie es schien – gute Gründe, in Ralf S. den Täter zu sehen. Während einer Inhaftierung soll S. gegenüber einem Mitgefangenen mit der Tat geprahlt haben. Eine ehemalige Lebenspartnerin berichtete Ähnliches und außerdem sollte eine Sprengstoffausbildung, die S. bei der Bundeswehr genossen hat, für seine Tatbegehung sprechen. Aus Sicht des Gerichts haben sich die Hoffnungen der Staatsanwaltschaft allerdings nicht bestätigt. Zeugenaussagen, die bisher getätigt wurden, seien »nicht hinreichend belastbar«.

Unabhängige Prozessbeobachter wie die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) sehen das anders. »Nach den bisherigen Erkenntnissen, gehen wir weiterhin von der Täterschaft des Angeklagten aus. Der Wehrhahn-Anschlag ist ohne eine Beteiligung von Ralf S. nicht denkbar. Die Indizienkette der Staatsanwaltschaft zeichnet ein deutliches Bild«, erklärt Dominik Schumacher, der mit der Mobilen Beratung jeden Prozesstag besucht und dokumentiert hat. Ralf S. habe »im Verlaufe des Prozesses versucht, sich als harmloser Spinner darzustellen. Es sieht fast so aus, als könnte er damit durchkommen«. Dafür, dass der Prozess nun scheitern könnte, sieht Schumacher auch noch einen anderen Grund. Die »schwierige Lage« sei auch auf »gravierende Ermittlungsfehler im Jahr 2000 zurückzuführen«.

Diesen Faktor macht auch die Initiative NSU-Watch NRW gegenüber »nd« stark. Der Düsseldorfer Staatsschutz habe bei den damaligen Ermittlungen »keine gute Figur« gemacht. Das Gericht könne genauer beleuchten, welche Informationen in den alten Akten stecken. Auch die Frage, was ein V-Mann des Landeskriminalamtes zur Aufklärung des Wehrhahn-Anschlags beitragen könne, sei bislang nicht aufgeworfen worden. NSU-Watch verweist außerdem noch einmal auf den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) des nordrhein-westfälischen Landtags, der gerade in Bezug auf die Verstrickungen zwischen Sicherheitsbehörden und Neonazis viele Fragen offen ließ. »Der PUA hat seine Arbeit nicht gemacht! Wir fordern, dass das nachgeholt wird«, so die Initiative.

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