• Berlin
  • Mord an Antifaschisten

Dieter Eich ist nicht vergessen

Antifaschisten gedenken mit Demonstration an einen neonazistischen Mord in Buch im Mai 2000

  • Philip Blees
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine Zugfahrt in schwarz-weiß. Bedrückende Klaviermusik. Die S-Bahn-Station Buch. »In der Nacht vom 24. zum 25. Mai 2000 wurde Dieter Eich - zu dieser Zeit erwerbslos - von vier Neonazis in seiner eigenen Wohnung in Berlin-Buch ermordet«, sagt eine ruhige Frauenstimme. So beginnt ein Kurzfilm des Bündnisses »Niemand ist vergessen« von 2011. Nun, sieben Jahre später, fordert das Bündnis eine Gedenktafel für den Ermordeten.

Mit einer Demonstration an diesem Mittwoch möchte das Bündnis, welches aus antifaschistischen und linken Gruppen besteht, an das Mordopfer erinnern: »Wir wollen aber auch daran erinnern, dass er aufgrund der rechten Ideologie seiner Mörder sterben musste«, sagt der Bündnissprecher Martin Stein.

Die vier Neonazis, die im gleichen Haus wie Eich wohnten und am Abend dort feierten, brachen zuerst in seine Wohnung ein und verprügelten ihn, als er schlief, verletzten ihn durch Tritte und Schläge schwer. Um die Tat zu verschleiern und zu verhindern, dass Eich sie wiedererkennt, töteten sie ihn später mit einem gezielten Stich ins Herz. Als Motiv gaben die Täter an, dass sie »einen Assi klatschen« wollten.

»Die Täter missachteten den 60-Jährigen als ›unwertes Leben‹«, so Stein. Das sei Teil der neonazistischen Ideologie. So könne man auch den Mord als eine solche Tat einordnen. Bundesweit haben Neonazis laut Recherchen der Wochenzeitung »Zeit« seit der Wende mindestens 28 Morde an Wohnungslosen verübt.

Vom Gericht wurde der rechte Mord allerdings zunächst nicht als solcher bewertet, sondern nur als Tat zur Verschleierung gesehen. Lediglich die schwere Körperverletzung im Vorhinein sei rechtsmotiviert gewesen. Da sich dieses Urteil schuldmindernd auswirkte, wurden die Täter nur zu Haftstrafen von fünf bis 13 Jahren verurteilt.

Jetzt, 18 Jahre später, wird die Polizei den Fall dem Bundkriminalamt melden und damit Dieter Eich als Todesopfer rechter Gewalt anerkennen. »Leider waren dafür erst die Mordserie des NSU und Druck von außen notwendig«, sagt Stein. Die Anerkennung sei auch der Verdienst des Bündnisses, welches schon seit 2010 zu dem Thema arbeitet.

Der Entscheidung der Polizei ging eine Untersuchung von Wissenschaftlern der Technischen Universität (TU) voraus. Die Forscher des Zentrums für Antisemitismusforschung rollten Ende 2015 noch einmal unterschiedliche Fälle, bei denen die Polizei zunächst keine politische Motivation feststellen wollte, neu auf und untersuchten sie nach wissenschaftlichen Methoden. Die Folge: Die Polizei wird sieben Todesopfer nachträglich als Opfer rechter Gewalt anerkennen - einschließlich Dieter Eich.

Dabei war auch die Initiative »Niemand wird vergessen« nicht ganz unbeteiligt. Martin Stein berichtet dem »nd« von einem Austausch mit den Wissenschaftlern. Schon seit Gründung des Bündnisses besteht auch die Forderung nach einer Gedenktafel für Dieter Eich. Diese sei jedoch aufgrund des »tagespolitischen Geschehens« immer wieder in den Hintergrund gerückt. Die Demonstration zum Todestag von Eich wurde zum Teil der Agitation gegen Neonazis in Buch - denn für die Antifaschisten gilt: Erinnern heißt auch kämpfen. Neben den faschistischen Strukturen wurden so auch die flüchtlingsfeindlichen Mobilisierungen im Jahr 2014 und 2015 im Nordosten der Stadt angegangen.

Nun sei allerdings die Zeit, wieder der ursprünglichen Aufgabe des Bündnisses nachzugehen, sagt Stein. Deswegen veranstalte man nun wieder eine Gedenkdemonstration an dem heutigen 23. Mai, welche um 17 Uhr von der S-Bahn-Station Buch bis zum letzten Wohnort des Ermordeten laufen wird. Dabei erwartet das Bündnis rund 150 Teilnehmer. Die Aufgabe für die Antifaschisten bleibt in ihren Augen gleich: Sie wollen gedenken und mahnen. Denn, so heißt es schon im Film des Bündnisses von 2011 am Ende: »Derlei Taten dürfen sich nicht wiederholen.«

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