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Auffällig untätig

Für Wolfgang Pomrehn ist die EU-Klage gegen die Bundesregierung wegen schlechter Luft in den Städten folgerichtig

  • Wolfgang Pomrehn
  • Lesedauer: 3 Min.

Nun ist es also klar: Die EU-Kommission verklagt die Bundesrepublik vor dem Gerichtshof der Europäischen Union, weil sie sich nicht an die EU-Gesetze zur Luftreinhaltung hält. Gesetze übrigens, die von der Kommission einst auf Anforderung der Regierungen erarbeitet und von diesen als EU-Recht angenommen wurden. Konkret geht es um die Richtlinie über Luftqualität und saubere Luft für Europa, die am 11. Juli 2008 in Kraft trat. Der darin fixierte Grenzwert für die maximale durchschnittliche Belastung der Luft wurde auf 40 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresdurchschnitt festgelegt und muss seit 2010 eingehalten werden.

Das ist hierzulande offensichtlich verschleppt worden. Selbst die Fristverlängerung, die für verschiedene Regionen beantragt und genehmigt wurden und Ende 2014 ausliefen, haben nicht gereicht. Die Kommission wirft Deutschland - wie auch fünf weiteren Mitgliedsstaaten - vor, es seien »keine geeigneten Maßnahmen ergriffen (worden), um die Zeiträume, in denen die Grenzwerte überschritten werden, so kurz wie möglich zu halten«. Hierzulande wird das gesetzliche Limit in 26 Gebieten überstiegen. Aus Stuttgart wurde zum Beispiel 2016 eine Konzentration von 82 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresdurchschnitt gemeldet. Dort werden vermutlich die Baumaschinen, mit denen das Stadtzentrum für einen überflüssigen, aber vermutlich neun Milliarden Euro teuren Tiefbahnhof umgegraben wird, einen Anteil an dem Problem haben. Ansonsten stammen die Stickoxide vor allem aus dem Straßenverkehr, und zwar zu knapp 50 Prozent aus dem Auspuff der Diesel-Pkw, wie es beim Umweltbundesamt heißt. Andere Quellen sind der Lieferverkehr (zwölf Prozent), Busse (2,4 Prozent), die lokale Industrie (drei Prozent) und Heizungen (sieben Prozent).

Rund 400 000 Menschen sterben in der Europäischen Union jährlich vorzeitig an den Folgen von Luftverschmutzung durch Stickoxide und Feinstäube. Die Situation hat sich in den letzten Jahrzehnten zwar verbessert, ist aber noch keinesfalls gut. Feinstaub und Stickoxide verursachen schwere Krankheiten wie Asthma, Herz-Kreislauf-Probleme und Lungenkrebs. Vor allem Kinder und ältere Menschen sind gefährdet. Daher ist es besonders perfide ist, wenn liberale und rechtsradikale Politiker meinen, die Grenzwerte seien übertrieben niedrig angesetzt, wo doch die Arbeitsplatzrichtlinien ganz andere Konzentrationen zulassen. Nur gelten diese für besonders belastete Industriearbeitsplätze, gehen von einem Acht-Stunden-Tag und gesunden erwachsenen Personen aus. Die Grenzwerte für die Belastung in Wohngebieten betreffen hingegen Luft, der alle Menschen 24 Stunden am Tag ausgesetzt sind.

Es ist nicht so, dass die Klage aus heiterem Himmel käme. Anfang des vergangenen Jahres - also achteinhalb Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie - hatte die Kommission eine Erklärungen gefordert, weshalb die Grenzwerte noch immer überschritten werden. Im Januar dieses Jahres hatte es dann einen kleinen Umweltgipfel dazu gegeben und die Bundesregierung die Chance erhalten, einen Maßnahmenkatalog vorzulegen. Auf einmal zauberten nun Bundesminister einen alten Sponti-Vorschlag aus den 1970ern aus dem Hut: Der öffentliche Nahverkehr könnte künftig kostenfrei angeboten werden. Die Kommission fand das offenbar nicht überzeugend.

Wem diese Verzögerungstaktik der Bundes- und diverser Landesregierungen zu Lasten der Gesundheit dient, ist klar. Die Autohersteller, allen voran VW, haben jahrelang nur so getan, als würden ihre Dieselfahrzeuge die gesetzlichen Vorgaben einhalten. Tatsächlich liegen die Emissionen im realen Straßenverkehr zum Teil ein Vielfaches über den eigentlich vorgeschriebenen Grenzwerten. In den USA hat Volkswagen für diese Betrügereien schwer büßen müssen, doch hierzulande halten sich die Behörden mit der strafrechtlichen Verfolgung auffallend zurück. Auch das wird von der EU-Kommission kritisiert. Sie erinnert an eine Richtlinie zur Typenzulassung, die von den Mitgliedsstaaten ausdrücklich fordert, Verstöße gegen die Zulassung, wie sie im Falle vieler Dieselmodelle eindeutig vorliegen, zu verfolgen. Rechtlich handelt es sich bei diesen Vorgängen, sofern das Luxemburger Gericht die Auffassung der Kommission teilt, um Vertragsverletzungen. Bezahlen wird dafür der deutsche Steuerzahler, den Nutzen haben die Aktionäre von VW und BMW.

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