- Politik
- 25 Jahre nach rassistischem Brandanschlag
In Solingen wird der Opfer von Nazi-Gewalt gedacht
Zahlreiche Politiker bei Trauerfeier erwartet / Pro Asyl und Amadeu Antonio Stiftung warnen vor »rassistischer Stimmungsmache«
Solingen. In zwei zentralen Veranstaltungen wird 25 Jahre nach dem rassistischen Brandanschlag von Solingen der Opfer gedacht. In Düsseldorf werden am Dienstagmittag (13.00 Uhr) Ansprachen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem weiblichen Oberhaupt der Familie, Mevlüde Genc (75), erwartet. Auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU) und der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu werden im Landeshaus reden.
In der Nacht des 29. Mai 1993 hatten vier Neonazis das Haus der türkischstämmigen Familie Genc in Solingen angezündet. Fünf Frauen und Mädchen starben, viele Familienmitglieder wurden teilweise schwer verletzt.
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In Solingen erwartet die Stadt mehrere Tausend Teilnehmer zur Gedenkfeier am Nachmittag (16.00 Uhr) am zentralen Mahnmal vor einer Schule. Dort werden Außenminister Heiko Maas (SPD), NRW-Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) und erneut der türkische Außenminister sprechen. Der Brandanschlag gilt als eine der folgenschwersten rassistischen Taten in der Geschichte der Bundesrepublik, er löste weltweites Entsetzen aus.
Mevlüde Genc hatte bereits kurz nach dem Anschlag zu friedlichem Miteinander und Versöhnung aufgerufen. Das hatte ihr höchsten Respekt eingebracht.
Die Familie hatte sich ausdrücklich gewünscht, dass auch ein türkischer Regierungsvertreter persönlich Anteil nimmt. Genc, die Stadt Solingen und Regierungschef Laschet hatten zudem gemahnt, der Gedenktag dürfe nicht für politische Zwecke instrumentalisiert werden. Es gab Befürchtungen, Cavusoglu könne seinen Besuch zu Wahlkampfzwecken nutzen. In der Türkei wird am 24. Juni gewählt.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rief dazu auf, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsradikalismus entschieden zu bekämpfen. »Die Erinnerung an diese grausame Tat darf nicht verblassen.« Der Tag des Anschlags stehe auch für eine fortdauernde Aufgabe: »Er verdeutlicht die Verpflichtung unseres Gemeinwesens und unserer Institutionen, alle Bürgerinnen und Bürger zu schützen, gleich welcher Herkunft.« Steinmeier hatte Mevlüde Genc - sie verlor zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte - bereits in der vergangenen Woche getroffen. »Mevlüde Genc kann Vorbild für jeden von uns sein, sich gegen Diskriminierung, Rassismus und Gewalt zu engagieren.«
Die Flüchtlingshilfeorganisation Pro Asyl und die Amadeu Antonio Stiftung erklärten, die Katastrophe von Solingen dürfe sich nicht wiederholen. Die Bundesregierung dürfe heute nicht erneut den Fehler machen, auf eine »massive rassistische Stimmungsmache im Land mit politischen Zugeständnissen zu antworten, die rechten Gewalttätern ein Gefühl der Legitimität geben«, erklärten die Organisationen in Frankfurt am Main.
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Die stellvertretende Vorsitzende der LINKEN im Bundestag, Sevim Dagdelen, erklärte: »Der Mordanschlag in Solingen 1993 war trauriger Tiefpunkt einer rassistischen Angriffswelle auf Ausländer und Flüchtlingsheime in Deutschland. Gürsün Ince, Hatice Genç, Gülüstan Öztürk, Hülya Genç und Saime Genç sind von deutschen Neonazis ermordet worden. Zur Wahrheit gehört auch: Das politische Klima damals war geprägt von Stimmungsmache und Hetze gegen Flüchtlinge und Migranten. Nur drei Tage vor dem Brandanschlag in der NRW-Stadt hatte eine Mehrheit der Abgeordneten aus CDU, CSU, FDP und SPD im Deutschen Bundestag das Grundrecht auf Asyl weitgehend abgeschafft.«
Auch ging die Politikerin auf die Rolle des Verfassungsschutzes ein: »Die gewaltbereite Neonaziszene war in den 1990er Jahre über sogenannte V-Leute vom Verfassungsschutz mit aufgebaut und finanziert worden. Eine Aufklärung über das ganze Ausmaß staatlicher Verstrickung in die rechte Terrorgruppe NSU steht bis heute aus.«
Staatliches Versagen im Umgang mit rechter Gewalt
Auch die Jugendverbände von SPD, Grünen und Linkspartei äußerten sich anlässlich des Jahrestages. »Solingen steht gemeinsam mit Mölln, Hoyerswerda und Rostock nicht nur stellvertretend für rechte Gewalt in Deutschland, sondern auch für das totale staatliche und politische Versagen im Umgang damit«, so die Sprecherin der Grünen Jugend, Ricarda Lang.
Juso-Chef Kevin Kühnert kritisiert, das aus den Fehlern von damals nicht gelernt worden sei. »Wer denkt, dass er die Rechten durch eine rassistische, autoritäre und neoliberale Politik stoppen kann, macht sich am Ende nur zu ihrem Gehilfen.«
»Statt der AfD nachzulaufen, werden wir klar für Menschenrechte einstehen und müssen gleichzeitig wieder Visionen für eine gerechte Gesellschaft und eine linke Alternative zum Status Quo schaffen«, fordert Lucas Kannenberg, Bundessprecher der linksjugend [’solid]. Agenturen/nd
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