Schlecht versichert, gut geschlichtet
Die Ombudsstelle für Versicherungsfragen hilft Verbrauchern seit 17 Jahren, ihre Rechte durchzusetzen
Lebensversicherung, Unfallversicherung, Sterbegeldversicherung, Zahnzusatzversicherung, Berufsunfähigkeitsversicherung, Reisegepäckversicherung - statistisch gesehen sind die Bundesbürger Sicherheitsfanatiker und haben eher zu viele als zu wenige Policen. Dass es bei solchen Mengen oft seitenlanger Verträge in kleingedruckter Fachsprache zu Missverständnissen bei der Auslegung kommt, ist fast zwangsläufig. Das merken die Verbraucher, wenn sie eine Leistung in Anspruch nehmen wollen. Oft kommt es dann zu Streitigkeiten mit der jeweiligen Versicherung.
Damit nicht gleich teure und langwierige Gerichtsverfahren folgen müssen, können Kunden sich bereits seit 2001 an den Versicherungsombudsmann wenden. Die 2001 vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) gegründete und seit August 2016 staatlich anerkannte Verbraucherschlichtungsstelle soll helfen, Probleme außergerichtlich beizulegen. Dafür hat sie das Recht, bis zu einem Beschwerdewert von 10 000 Euro verbindlich gegen Unternehmen zu entscheiden.
Viele Versicherungsnehmer nutzen diese Möglichkeit, wie Günter Hirsch, Ex-Präsident des Bundesgerichtshofes und seit 2008 Versicherungsombudsmann, am Dienstag in Berlin erklärte. Laut seinem Jahresbericht sind im vergangenen Jahr fast 15 000 zulässige Beschwerden bei der Schlichtungsstelle eingegangen - 1,7 Prozent mehr als noch 2016. In 43 Prozent der Fälle konnte der Ombudsmann Erfolge für die Verbraucher gegenüber den Unternehmen erzielen. Die meisten Beschwerden gab es dabei über Rechtsschutz- und Lebensversicherungen, die wenigsten über Berufsunfähigkeitsversicherungen und Hypothekenkreditverträge. Im Schnitt mussten Verbraucher nur 2,8 Monate bis zur Klärung ihres Falles warten, das sei erfreulich, so Hirsch.
Die Zahlen seien ähnlich wie in den vergangenen Jahren; auffällig sei jedoch die Zunahme von Massenbeschwerden in den vergangenen Monaten, sagte der Ombudsmann. Beim Thema VW-Abgasskandal etwa zeige sich ein »neues anwaltliches Geschäftsmodell«, das er durchaus kritisch sieht. Mandanten würden online angesprochen und müssten nur mit einem Klick bestätigen, dass sie vom selben Sachverhalt betroffen sind. Das anwaltliche Vertrauensverhältnis entfällt dabei. Die standardisierten, nicht individualisierten Schriftsätze der Anwälte, die anschließend an die Schlichtungsstelle gingen, stellten einen hohen Bearbeitungsaufwand dar, so Hirsch.
Dass viele Menschen von einem Problem betroffen sein können und gemeinsam Hilfe suchen wollen, ist aber für den Ombudsmann keine Frage. Deswegen begrüßte er grundsätzlich den vom Bundeskabinett Anfang Mai beschlossenen Gesetzentwurf für eine Musterfeststellungsklage. Doch auch die sei nicht so verbraucherfreundlich, wie sie sein könnte, kritisierte er. So erhebt zunächst eine Verbraucherrechtsorganisation Klage und ruft Betroffene auf, sich dieser anzuschließen. Das betreffende Gericht stellt dann fest, ob grundsätzlich Schadenersatzansprüche bestehen. Damit kommen die Kunden aber noch nicht zu ihrem Recht oder ihrem Geld. In einem zweiten Schritt muss nämlich jeder Einzelne seinen Anspruch geltend machen. Dabei würden die Verbraucher allein gelassen, so Hirsch.
Die hinter dem Gesetzentwurf stehende Hoffnung, dass die Unternehmen eine einvernehmliche Lösung mit den Kunden finden wollen oder sich auf eine außergerichtliche Schlichtung einlassen, obwohl sie es nicht müssen, hält er für unrealistisch: »Die Schwachstelle im Gesetz ist aber leicht zu beseitigen, wenn man die Unternehmen verpflichtet, sich an Schlichtungen zu beteiligen, sobald ihre Grundsatzhaftung festgestellt ist.«
Dass seine Kritik bei der Koalition ankommt, hält Hirsch nicht für unwahrscheinlich: Im vergangenen Jahr habe er die Bundesregierung auf eine verbraucherfeindliche Gesetzeslücke beim Abschluss von Restschuldversicherungen aufmerksam gemacht - diese wurde inzwischen geschlossen.
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