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Linke, erfinde dich neu!
Um aus der Sackgasse der derzeit vorherrschenden Spielart des Kapitalismus zu entkommen, müssen wir uns als Linke neu erfinden, denn sonst jubeln die Rechten
Die Bilanz der Regierungspolitik der letzten Jahrzehnte ist gesellschaftlich verheerend. Der Sozialstaat wurde kontinuierlich abgebaut, ein großer Niedriglohnsektor ist entstanden, die Kinder- ebenso wie die Altersarmut steigt immer weiter an, die Einschränkung von Grund- und Freiheitsrechten wurde forciert und die Überwachung der Menschen nimmt ungeahnte Ausmaße an – und trotz des Ausbaus der erneuerbaren Energien steigt der CO2-Ausstoß immer weiter an.
Konnte der Einzug der »Alternative für Deutschland« (AfD) in den Bundestag vor fünf Jahren noch knapp verhindert werden, vollzog sich mit der Bekanntgabe der amtlichen Wahlergebnisse zur Bundestagswahl 2017 nun ein weiterer, parlamentarischer Rechtsruck, der sich in den massiven, gesamtgesellschaftlichen Rechtstrend passgenau einfügt. Dadurch wird die AfD wirksamer denn je dabei – in den Parlamenten und auf der Straße – ihren (antimuslimischen) Rassismus, Antisemitismus, Antifeminismus, Ableismus und ihre Queerfeindlichkeit in die Gesellschaft hineintragen können.
Seit Monaten hat Björn Höcke, die Leitfigur der Völkisch-Nationalen in der AfD, den Sozialpopulismus für sich entdeckt. Der Höcke-Flügel in der AfD könnte mit seinen völkisch aufgeladenen sozialpolitischen Forderungen in der AfD die Mehrheit gewinnen. Dies hätte zur Folge, dass die AfD künftig auf einen Politikmix aus Rassismus plus Sozialstaat setzen würde. Höckes Kombination aus nationalistisch-patriotischer Rhetorik und sozialistisch anmutender Sozialpolitik kann das Zeug dazu haben, dass aus der bisherigen Nischenpartei eine Massenbewegung wird.
Die Linke in Deutschland konnte die beschriebene Entwicklung der Gesellschaft und den Aufstieg der AfD nicht verhindern. Sie muss daher ihre Fehler analysieren und sich auf der Basis dieser Analyse neu aufstellen.
Es sei »Zeit für eine linke Programm-Debatte«, schrieb Petra Pau am 19. April in einem Gastbeitrag für »neues deutschland«. Die Genossin Pau zählt zur Begründung ihrer Forderung nach einer Programm-Debatte einige Themen auf, bei denen es in der Partei die LINKE »hinreichend Hängepartien« gibt. Sie benennt dabei Punkte wie die Digitalisierung, das bedingungslose Grundeinkommen, Migration und die Haltung gegenüber der EU.
Und ernsthaft: Damit hat sie recht!
Bevor wir als Partei weiterhin Zeit darauf verschwenden, über das Egomane, durch Medienaufmerksamkeit gehypte Projekt Einzelner, einer »Linken Sammlungsbewegung«, zu diskutieren, sollten wir uns die Frage stellen: »Brauchen wir eine Programmdebatte der politischen Linken, um eine Neuaufstellung dieser in Deutschland zu erreichen?« Denn bevor wir uns fragen, wie wir uns organisieren wollen, sollten wir uns auf eine gemeinsame inhaltliche Grundlage einigen, auf deren Basis wir zusammen für eine gerechtere Welt kämpfen möchten.
Für uns steht fest: So wie die LINKE derzeit agiert, darf sie nicht bleiben. Wir brauchen eine Veränderung unserer Partei in Richtung Demokratisierung unserer Strukturen hin zu einer aktiven Mitglieder-Partei, verbunden mit Unangepasstheit und einer neuen Radikalität des Denkens und Handelns.
Unsere Antwort auf die Frage, »Brauchen wir eine Programmdebatte der politischen Linken?«, lautet aus zweierlei Gründen »Ja« und zwar nicht nur, weil wir als Sozialist*innen wissen, dass in jeder Phase des Kapitalismus gilt: »Nur wer sich ändert, bleibt sich treu«.
Zum einen lautet sie »Ja«, weil heute mehr als je zuvor gilt, wenn nichts bleibt, wie es ist – weshalb sollte das ausgerechnet an einer linken Partei spurlos vorbeigehen? »Das Zusammenfallen des Änderns der Umstände und der menschlichen Tätigkeit kann nur als umwälzende Praxis gefaßt und rationell verstanden werden«, schrieb Marx treffend in seiner 3. Feuerbachthese. Revolutionäre Praxis bedeutet demnach das Zusammenfallen von Beidem – das Ändern der Umstände und die Selbstveränderung. Eine LINKE, die »das Ändern der Umstände« anstrebt, muss dementsprechend die Selbstveränderung als Teil des Prozesses zum Ändern der Umstände begreifen.
Zur Selbstveränderung gehört die profane Erkenntnis, dass das Erfurter Programm der gesellschaftlichen Entwicklung hinterherhinkt. Einzelne Punkte hat die Genossin Pau treffend benannt. Als es beschlossen wurde, gab es darüber hinaus keine – so offensichtlichen – Zuspitzungen nationalistischer und autoritärer Bewegungen in Deutschland und Europa: keine Pegida, keine autoritäre Formierung in Deutschland, keinen Rassismus der als gleichberechtigte Meinung empfunden wurde, keine AfD, keinen Zerfallsprozess der EU, keinen EU-Türkei-Deal, keinen Women March gegen einen Trump, keine Faschist*innen in verschiedenen europäischen Ländern vor und in der Regierungsbeteiligung, keine nationale Besinnung von Teilen des deutschen Kapitals und der deutschen Linken und vieles andere.
Es gab aber vor allem eines nicht: eine gesellschaftliche Rechtsentwicklung im derzeitigen Ausmaß und die damit verbundene Verschiebung des gesellschaftlichen Diskurses hin zur (Rück-) Besinnung auf Volk, Heimat und Nation. Gerade Letzteres, die Erhebung der Nation zu einem schützenswerten Gut durch Teile der Linken, ist aber ein Punkt, der unbedingt diskutiert werden muss.
Auch wenn einige Linke es scheinbar vergessen haben: Die Nation ist keine natürliche, urwüchsige Gemeinschaft, sondern konstituiert sich in den gesellschaftlichen Verhältnissen – und ist dabei unabdingbar ein Teil der zu überwindenden Zustände. Die Vorstellung, dass einzig souveräne Nationen und Nationalstaaten die politische Krise überwinden könnten, reproduziert damit genau jene gesellschaftlichen Verhältnisse und die zu überwindenden Zustände. Einerseits wird durch die grundsätzliche Annahme, Grenzen seien notwendig – so beispielsweise bei den Vertreter*innen der These, die Forderung »no border« wäre identisch mit den Interessen bestimmter Kapitalfraktionen – von der räumlichen Struktur kapitalistischer Vergesellschaftung abgesehen.
Anderseits verstellt eine solche Perspektive die Analyse der spezifischen Territorialität der EU und die durchaus differenzierte Ordnung ihrer Grenzen. Stattdessen nimmt sie den Begriff der Souveränität nur dualistisch wahr: Grenze = Souveränität, keine Grenze = Kapitalinteressen. Es ist kein Wunder, dass Linke, die sich innerhalb der Identitätslogik positionieren und die Nation als Ort des Widerstands begreifen, auch in der Auseinandersetzung mit Migrationsprozessen in Abgrenzung und strukturellem Rassismus landen. Eine Linke, die sich in die Logik der Identität begibt und an einem nationalen Projekt mitarbeitet, demontiert sich selbst.
Die Linke war bisher nicht in der Lage, ein emanzipatorisches Gegenmodell zum Nationalismus der Rechten zu bieten. Der Internationalismus, wie ihm viele Linke zurzeit huldigen, ist nichts als der Ruf nach der Kooperation verschiedener Nationalismen, dem Ruf nach der Zusammenarbeit der Vaterländer. Mit dem Internationalismus des »Bund der Kommunisten« hat das nichts zu tun. Wenn im Kommunistischen Manifest dargelegt wird »Den Kommunisten ist ferner vorgeworfen worden, sie wollten das Vaterland, die Nationalität abschaffen. Die Arbeiter haben kein Vaterland. Man kann ihnen nicht nehmen, was sie nicht haben«, so bedeutet dies den Bruch mit der Nation und dem Völkischen und das Hervorheben der »gemeinsamen kosmopolitischen Interessen des Proletariats« (Brief an Sorge von 12.-17. September 1874, Ausgewählte Briefe, S. 341).
In der globalisierten Welt der transnationalen Konzerne kann kein Kampf gegen das kapitalistische System nur auf nationaler Ebene geführt werden. Klimaveränderung, Gentechnik, Software-Patente, Privatisierung öffentlichen Eigentums, Lohndumping, Outsourcing, Standortwettbewerb, Spam, etc, ... all diese Fragen sind globale Fragen und können nur mit globalen Kämpfen erfolgreich beantwortet werden.
Ein emanzipatorisches Gegenmodell zum Nationalismus - welcher Spielart auch immer – kann nur kosmopolitisch und solidarisch sein und darf dem Nationalismus keine Zugeständnisse machen, auch wenn er gerade populär ist.
Und damit sind wir beim zweiten Punkt, warum unsere Antwort auf die Frage »Brauchen wir eine Programmdebatte der politischen Linken?« »Ja« lautet.
Wir schrieben eingangs: »Wir brauchen eine Veränderung unserer Partei in Richtung Demokratisierung unserer Strukturen hin zu einer aktiven Mitglieder-Partei verbunden mit Unangepasstheit und einer neuen Radikalität des Denkens und Handelns.«. Dies fordern wir auch deshalb, weil die weltweite Offensive des Kapitals, die in den 80er Jahren begann und unter dem Namen »Neoliberalismus« bekannt wurde, immer offensichtlicher an ihre Grenzen stößt. Die traditionellen Herrschaftsformen des Kapitalismus brechen auseinander. Gleichzeitig gibt es aber auch keine politische Alternative der Unterdrückten, die über Ansätze, wie zum Beispiel den, den die LINKE darstellt, hinausginge.
Wenn es auf die Krise keine Programmatische, die Überwindung des bestehenden aufzeigende Antwort von links gibt, können wir in den Begriffen Antonio Gramscis von einer »organischen Krise« sprechen. Oder, wie Gramsci es formulierte: »Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren.« Das ist die Zeit von Scharlatanen und messianischen Demagog*innen, es »ist die Zeit der Monster.«
In der Zeit der Monster brauchen wir eine linke Partei, die fähig ist, die Dialektik zwischen Menschheits- und Klassenfragen zu meistern und ein Programm, das die LINKE als eine moderne, progressive Partei präsentiert, die die soziale Frage in den Mittelpunkt stellt und trotzdem in der Lage ist, mit den Mittelschichten ein Bündnis gegen das Kapital und die Rechten in diesem Land zu schmieden.
Was wir brauchen, ist eine Partei die LINKE, die die Vielzahl an Widersprüchen im kapitalistischen System umfassend aufzeigt, den »ganz normalen« Wahnsinn anprangert und so die vielen Menschen, die das ebenso sehen, vereint. Dazu braucht es eine pluralistische, partizipative Partei die LINKE, die der Vielzahl der Widersprüche in der gesellschaftlichen Linken Rechnung trägt. Eine Partei eben, die das Problem an der Wurzel fasst. Eine LINKE, die auf die AfD zeigt und klarmacht: »Da steht der Feind – und darüber ist kein Zweifel: dieser Feind steht Rechts.«. Eine LINKE, die die rechte kulturelle Hegemonie zu durchbrechen versucht. Eine Partei, die mutig ist.
Kurzum: Wir finden, es ist höchste Zeit für eine neue programmatische Debatte in der Partei die LINKE.
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