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Die Philosophie als Zensor
Für Norman Paech verdeckt der Vorwurf des israelbezogenen Antisemitismus nur mühsam die Ohnmacht der Verteidigung einer Politik, die weder moralisch noch rechtlich zu verteidigen ist. Eine Antwort auf Micha Brumlik (»nd« vom 26.5.)
Als Philipp Roth, Enkel galizischer Juden, 1960 eine seiner ersten Kurzgeschichten »Verteidiger des Glaubens« publizierte, attackierte ihn die Anti Defamation League sofort. Seine Figur eines unsympathischen Juden spiele nur Antisemiten in die Hände und schüre Vorurteile. Doch Roth wollte nicht begreifen, dass nur sympathische Juden in die Literatur gehörten. Er stand zu seinem Makel und stellte in den nächsten Jahrzehnten über seinen Roman »Operation Shylock. Ein Bekenntnis« hinaus immer wieder die Frage, ob sich die US-amerikanischen Juden jemals von der Last ihrer Geschichte zwischen Zionismus und Antisemitismus werden befreien können?
Die Frage stellt sich jedoch nicht nur für Juden. Denn Kunst und Literatur sind zumeist auch politisch. Und wenn der ehemalige Karikaturist der »Süddeutschen Zeitung« (»SZ«), Dieter Hanitzsch, einen Politiker mit großen Ohren, großer Nase, einem großen Busen in Stiefeln und raketenschwingend präsentiert, zeichnet er nur ein politisches Bild, welches realistisch und kritisch ist. Jedes Foto des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu zeigt ihn mit großen Ohren, einer großen Nase und dem Davidstern im Hintergrund. Er hat sich sofort der israelischen Siegerin beim Eurovision Song Contest bemächtigt, um sie und den nächsten Wettbewerb in Jerusalem für seine Politik zu nutzen - eine Politik, die wahrlich in Militärstiefeln auftritt und mit Raketen seine Nachbarn angreift. Man kann den hiesigen Medien mangelnde Kritik daran vorwerfen, nicht aber, dass sie die Fakten dieser völkerrechtswidrigen Aggressionen in Syrien und im Gazastreifen verschweigen.
Wo lebt Micha Brumlik, wenn er fragt: »Stellen israelische - jüdische? Raketen derzeit ein sicherheitspolitisches Thema dar?« Liest er keine Zeitung? Hanitzsch hielt sich zurück, er hätte Netanjahu auch auf einem Haufen toter Palästinenser, mit seinen Stiefeln auf Gaza oder als einen auf Syrien raketenwerfenden Irren zeichnen können. Die Realität, die Netanjahu mit seinen Mitteln um sich herum schafft, ist ungleich brutaler, entsetzlicher und menschenverachtender, als die Karikatur sie zeigt.
Und was treibt Brumlik dazu, sich auf das Niveau eines Hofnarren des Zionismus wie Henryk M. Broder (»die ›SZ‹ ist eine Zeitung, in der Antisemitismus verbreitet wird«) herunter zu begeben und Günter Grass mit seinem Gedicht »Was gesagt werden muss« 2012 in der »SZ« wieder in die Gosse des Antisemitismus zu ziehen? Vertraut er dem ewig kriegsdrohenden Netanjahu so sehr, dass er den Satz von Grass »Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden?« und sein Bekenntnis »ich schweige nicht mehr, weil ich der Heuchelei des Westens überdrüssig bin« als antisemitische Fantasterei abtun kann? Grass mag sich geirrt haben, aber ich glaube, er würde den Satz auch heute noch wiederholen - der ewige Antisemit? Man feiert den Karikaturisten von »Charlie Hebdo«, der Mohamed in einer mit Blut gefüllten Wanne sitzend zeichnet als »Kämpfer für die Pressefreiheit«, erträgt einen raketenschwingenden Netanjahu aber nicht. Man kann sich kaum vorstellen, wie die von ihrer Liberalität so überzeugten Medien reagiert hätten, wenn Jan Böhmermann seine Zoten nicht über den türkischen Präsidenten Recep Erdogan, sondern über Netanjahu ausgegossen hätte. Wer sollte da der Heuchelei des Westens nicht überdrüssig sein?
Der Vorwurf des israelbezogenen Antisemitismus verdeckt nur mühsam die Ohnmacht der Verteidigung einer Politik, die weder moralisch noch rechtlich zu verteidigen ist. Er tabuisiert die Kritik, um gleichzeitig zu beteuern, dass die Kritik an der israelischen Politik erlaubt sei. Bliebe es bei diesem Widerspruch, fiele er auf die Autoren zurück. Doch Hanitzsch kostete er den Job. Brumlik hat schon einmal einen Autor mit seinem Verdikt heimgesucht. Er erreichte es, dass der Suhrkamp-Verlag das Buch »Nach dem Terror. Ein Traktat« des kanadischen Philosophen Ted Hondrich aus dem Programm nahm und die noch vorhandenen Exemplare vernichtete. Im gleichen Jahr 2003 bekam Brumlik die Hermann Cohen-Medaille für jüdische Kulturphilosophie. Auch Philosophie ist politisch - vor allem, wenn sie als Zensor auftritt.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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