- Politik
- Neue Regierung in Italien
Lega-Minister Fontana sorgt für ersten Eklat
Neuer italienischer Familienminister stellt Existenz von Regenbogenfamilien infrage / Regierungschef Conte erhielt Dossier seines Vorgängers Gentiloni
Rom. Kaum ist die neue Regierung Italiens aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega im Amt, gibt es den ersten Eklat: Der erzkatholische Familienminister Lorenzo Fontana von der rechtspopulistischen Lega hat in einem Interview in Frage gestellt, dass es Familien mit gleichgeschlechtlichen Eltern gibt. Auf die Frage, was er für diese Familien tun wolle, sagte er: »Existieren Regenbogenfamilien?« Auf den Einwurf des Journalisten, dass es sehr viele davon in Italien gebe, sagte Fontana: »Gesetzlich existieren sie derzeit nicht.«
Fontana, der bisher im Europäischen Parlament saß, sieht die traditionelle Familie in Gefahr und ist Abtreibungsgegner. »Ich bin katholisch, das verberge ich nicht. Und deshalb sage ich auch, dass die Familie jene ist, wo ein Kind eine Mama und einen Papa haben soll«, sagte er der Zeitung. Um die niedrige Geburtenquote in Italien wieder anzuheben, wolle er die Zahl der Abtreibungen senken.
Es sei schlimm, wenn ein Minister eine solch »falsche und beleidigende Meinung« vertrete, sagte der Vorsitzende des Schwulenverbandes Gaynet, Francesco Lepore. Auch der Chef der Lega und Innenminister Matteo Salvini, der sonst selbst gegen Familienmodelle mit zwei Müttern oder Vätern wettert, distanzierte sich. Fontana könne »seine eigenen Vorstellungen haben«, sagte er. »Aber sie sind nicht Priorität und sie stehen nicht in unserem Regierungsvertrag.«
Der Vorsitzende des Verbandes Arcigay, Gabriele Piazzoni, sagte: »In den letzten 24 Stunden haben wir zahlreiche Erklärungen von Minister Salvini und Minister Fontana gelesen, die aus einer Zeitung von vor mindestens einem halben Jahrhundert stammen könnten.«
Italien ist ein katholisch geprägtes Land; die gleichgeschlechtliche Partnerschaft wurde erst unter der Vorgängerregierung beschlossen. Adoption ist homosexuellen Paaren nicht erlaubt. Immer wieder sorgen radikale Aktionen von Abtreibungsgegnern oder von Gegnern der gleichgeschlechtlichen Partnerschaften für Aufsehen.
Regierung unter Conte nimmt Arbeit auf
Nach der Vereidigung am Freitag hat Italiens neue Regierung aus populistischer Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) und rechtsradikaler Lega auch die formelle Arbeit begonnen. Ministerpräsident Giuseppe Conte nahm an der Seite von Präsident Sergio Mattarella am Samstag in Rom eine Militärparade anlässlich des Nationalfeiertags ab. Die Feierlichkeiten erinnerten an die Gründung der italienischen Republik im Jahr 1946.
Der 53-jährige Jurist Conte musste sich darüber hinaus mit einem 33-seitigen Dossier seines Vorgängers Paolo Gentiloni befassen, wie italienische Medien berichteten. Das Papier zur Amtsübergabe listet unter anderem Fragen der Zuwanderung und wirtschaftliche Schwierigkeiten italienischer Unternehmen wie der Fluggesellschaft Alitalia auf. Auch die anstehenden Treffen auf EU-Ebene und der G7-Staaten werden demnach in den Unterlagen aufbereitet.
Bereits am Freitag hatte der neue Innenminister und Lega-Chef, Matteo Salvini, einen Besuch auf Sizilien angekündigt. Bei der für Sonntag geplanten Visite will sich Salvini nach eigenen Worten ein Bild von der Lage an einem der wichtigsten Ankunftsorte von Flüchtlingen in Italien machen.
Die Regierung war am Freitag knapp drei Monate nach der Wahl vereidigt worden. Die erste rein populistische Regierung Westeuropas plant eine Abkehr von der Sparpolitik der vergangenen Jahre, etwa durch das Absenken des Rentenalters und Steuersenkungen. Zudem strebt die Koalition eine Neuverhandlung der EU-Verträge und eine schärfere Migrationspolitik an.
Trotz der schwierigen Regierungsbildung hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) »weiterhin Vertrauen« in Italien. Er sei sehr dafür, Italien »mit gebührendem Respekt« zu begegnen, sagte Altmaier der »Rheinischen Post« vom Samstag. »Italien hat in den vergangenen Jahren erheblich zur europäischen Integration beigetragen und ich wünsche mir, dass dies auch in Zukunft so bleibt.«
EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker erwartete derweil von der deutschen Öffentlichkeit mehr Respekt gegenüber Italien. Er halte »nichts von Belehrungen an die Adresse Roms«, sagte Juncker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Samstagsausgaben). Er erinnerte an den Umgang mit Griechenland auf dem Höhepunkt der Euro-Krise. »Da wurde die Würde des griechischen Volkes mit Füßen getreten«, sagte Juncker.
Erstes Treffen von Conte und Merkel bei G7-Gipfel
Nach den Irritationen der letzten Wochen zwischen Deutschland und Italien wird der neue italienische Regierungschef Giuseppe Conte Ende nächster Woche Kanzlerin Angela Merkel treffen. Beim G7-Gipfel in Kanada werde er mit Merkel zum bilateralen Gespräch zusammenkommen, erklärte der parteilose Politiker auf Facebook. Der Gipfel am 8. und 9. Juni sei generell die »erste Gelegenheit, dass ich zum Sprecher der Interessen der italienischen Bürger werde«.
Er habe am Samstag mit Merkel ein freundliches Telefongespräch gehabt, so Conte. Die Kanzlerin habe ihn eingeladen, so schnell wie möglich nach Berlin zu kommen. Er habe auch mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron telefoniert.
Merkel erklärte in einem Interview, sie werde offen auf die neue Regierung zugehen. »Ich werde (...) mit ihr arbeiten, anstatt über ihre Absichten zu spekulieren«, sagte die CDU-Politikerin der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung«. Die Kanzlerin bekannte sich zur Solidarität unter Euro-Partnern, warnte jedoch angesichts von Gedankenspielen in Rom über einen Schuldenerlass, Solidarität dürfe »nie in eine Schuldenunion münden«. Sie sei aber »bereit, mit der neuen italienischen Regierung darüber zu sprechen, wie mehr junge Menschen Arbeit finden können«. Agenturen/nd
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.