Die glorreichen Zeiten sind vorbei

In Indiens IT-Branche werden Stellen gekürzt - Grund ist ausgerechnet die Weiterentwicklung der Technik

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist eine Branche, die in den Jahren nach der Jahrtausendwende Indien einen Schub verpasst hat und zu einem wesentlichen Treiber des ökonomischen Aufschwungs wurde. Da ist nicht nur Bengaluru (vormals Bangalore), indische Entsprechung des Silicon Valley. Auch andere Städte wie Hyderabad, Pune, Gurgaon stehen für Ansiedlung und Wachstum unzähliger IT-Firmen, einen Boom, der sich auch auf andere Sektoren auswirkte. Doch der Glanz beginnt zu verblassen.

Zwar spucken die IITs, Indiens Hochtechnologie-Institute, noch immer viele talentierte und gut ausgebildete junge Leute auf den Arbeitsmarkt, die zeitweise direkt vom Campus weg durch ausländische Rekrutierer abgeworben und auch daheim mit Kusshand genommen wurden. Doch stellt sich mittlerweile stellt sich Ernüchterung ein. 2017 war das erste Jahr, in dem die einschlägigen Unternehmen Jobs in Größenordnungen gestrichen haben, statt immer nur neu einzustellen. Über die nächsten Jahre hinweg, das belegen mehrere Umfragen und Analysen, wird es noch düsterer aussehen.

Kein Geringerer als Raghuram Rajan hat erst kürzlich vor der Gefahr gewarnt, die gerade der Vormarsch technologischer Lösungen mittels Künstlicher Intelligenz für Indiens IT-Branche bedeute: »Wir haben schon einen stetigen Jobverlust erlebt, vor allem bei Routinearbeiten, die automatisiert werden können«, sagte der Ex-Zentralbankchef im März bei einer Konferenz im südindischen Kochi. »Jobs, die menschliche Empathie erfordern, werden zwar weiter gefragt sein, doch wird es über alle Sektoren hinweg Umstrukturierungen geben«, prognostiziert Rajan - und er steht mit dieser Einschätzung nicht allein. Er mahnte die Unternehmen deshalb, nicht vorschnell auf den jüngsten technologischen Hype aufzuspringen, sondern weiterhin auch neue Arbeitsplätze für Menschen zu schaffen.

Bis zu 70 Prozent aller Stellen im nationalen IT-Sektor seien gefährdet, warnte bereits im vergangenen November besonders deutlich »Business Line«, das Wirtschaftsblatt der renommierten Tageszeitung »The Hindu«. Verwiesen wurde in dem Artikel unter anderem auf die Beratungsagentur McKinsey, die angesichts des Automatisierungsbooms wenigstens die Hälfte der IT-Jobs mittelfristig als entbehrlich einstuft. Sogar nur von einem knappen Drittel gesicherter Jobs in der Branche spricht an gleicher Stelle DD Mishra, Forschungsdirektor bei Gartner - dem global führenden Marktforschungs- und Analyseunternehmen für den IT-Sektor mit Hauptsitz im US-amerikanischen Stamford.

Das alles ist nicht nur düstere Zukunftsmusik, sondern bereits heute sehr real. Von mindestens 56 000 gestrichenen Stellen allein bei den sieben führenden Konzernen der Branche im zurückliegenden Finanzjahr ist die Rede. Erstmals hatte »Mint«, eines der führenden indischen Wirtschaftsmedien, nach umfangreichen Recherchen in den Spitzenetagen der »Großen«, schon im Mai 2017 diese Zahl ankündigend zuerst publiziert.

Noch liegt keine Statistik über die Gesamtzahl der realen Entlassungen in der »Ersten Liga« vor, doch sie könnte sogar noch darüber liegen. Und wenn sogar die einheimischen Konzerne Wipro, Infosys und Tech Mahindra sowie die indischen Filialen ausländischer Giganten in dieser Größenordnung feuern, sieht es bei kleinen Firmen kaum besser aus. Allein die sieben Branchenführer haben derzeit noch um die 1,4 Millionen Angestellte, gut ein Drittel aller Beschäftigten des IT-Sektors.

»Wo sind all die Jobs hin?«, fragte vor einigen Monaten das Wochenblatt »Outlook«. An Verbände wie das Forum of IT-Employees (FITE) wenden sich derzeit hilfesuchend immer mehr Gefeuerte. In Mumbai ebenso wie in Bengaluru, Chennai oder der Hauptstadtregion rund um Delhi. Elvarasan Raja, FITE-Generalsekretär, sprach im Oktober allein von 30 000 Gekündigten im ersten Halbjahr des bis März laufenden Finanzjahres. Für die Gesamtbranche prognostizierte Raja im Geschäftsjahr 2017/18 einen Verlust von 200 000 Stellen.

»Die Branche ist noch immer einer der größten Arbeitgeber, die Furcht vor Jobverlusten übertrieben«, wird dagegen Sangeeta Gupta, Senior-Vizepräsidentin des Branchenverbandes NASSCOM, zitiert. Allein in den letzten drei Jahren seien 600 000 neue Stellen geschaffen worden, ist ihr Argument. Mit dieser Meinung steht sie in Indien aber ziemlich allein da.

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