Linkes Mitregieren?
Eine Mehrheit der Linken vertritt nach wie vor die Meinung, dass Regierungsbeteiligung ihr auch unter den gegenwärtigen Macht- und Herrschaftsverhältnissen größere Möglichkeiten eröffnete, linke Politik nachhaltig zu verwirklichen. Leitungsgremien von Linksparteien propagieren immer wieder die These von der Bedeutung der Wahrnehmung von Regierungsverantwortung. Vor allem in den Wahlkampfphasen wird von linken Spitzenkandidaten gerne Koalitionsbereitschaft geäußert.
Die nachstehenden Ausführungen richten sich jedoch gegen eine solche Auffassung. Eine Regierungsbeteiligung der Linken erweist sich in keiner Weise als ein Erfolgsmodell für eine im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung liegende Politik des gesellschaftlichen Fortschritts. Dafür fehlt ihr sowohl aus Sicht der gemachten Erfahrungen als auch theoretischer Überlegungen jegliche Grundlage ...
Linksparteien im Sinne dieser Schrift sind Parteien, die sich selbst »links von der Sozialdemokratie definieren, unabhängig davon, welchen Parteinamen sie führen ... Von 31 Fällen des Mitregierens von Linksparteien wird hier berichtet, von Bündnissen, die von 19 europäischen Linksparteien in elf europäischen Ländern eingegangen wurden. 22 mal handelt es sich um Parteienkoalitionen und neunmal um Tolerierungen. In Südeuropa regieren gegenwärtig noch drei Linksparteien mit, darunter eine Linkspartei mit Regierungsbeteiligung und zwei mit Tolerierung.
Betrachtet man das Mitregieren der europäischen Linksparteien in ihrer Gesamtheit, so zeigt sich ein unverkennbares Nord-Süd-Gefälle. In allen fünf nordeuropäischen Ländern (Island, Schweden, Norwegen, Finnland und Dänemark) waren Linksparteien an Regierungen beteiligt oder übten sich in Tolerierung, während das in Mittel- und Südeuropa nur bei der Hälfte der Länder der Fall ist. Auch die Dauer der Regierungsbeteiligung der Linksparteien ist in den nordeuropäischen Ländern mit durchschnittlich 5,1 Jahren zweimal so hoch wie in den Ländern Mittel- und Südosteuropas. Dass in den nordeuropäischen Ländern Regierungsbeteiligungen von Linksparteien öfter aufgetreten sind, hängt damit zusammen, dass vor allem deren sozialdemokratische Parteien nach 1990 früher den Wert einer Kooperation mit Linksparteien für die Verwirklichung sozialdemokratischer Politik erkannten als ihre Schwesterparteien in Mittel- und Südeuropa. Auch der Erwartungsdruck der gesellschaftlichen Basis, darunter der Gewerkschaften, auf sozialdemokratische Parteien für eine linke Politik, wirkt sich dabei aus.
Aus Paul Gliers Buch «Was bringt es, wenn Linke mitregieren?» (Verlag am Park in der Edition Ost, 213 S., br., 14,99 €).
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