Der unsichtbare Zeuge
NSU-Untersuchungsausschuss vernimmt Ex-V-Mann »Piatto« in separatem Landtagssaal
Rund um den Potsdamer Landtag stehen am Montagmorgen voll besetzte Polizeiautos und Beamte auf Motorrädern. Am Eingang wird schärfer kontrolliert als üblich. Das alles wegen Carsten Szczepanski. Der war einstmals V-Mann des brandenburgischen Verfassungsschutzes in der rechtsextremen Szene und lebt heute im Verborgenen. Darum darf niemand zusehen, als Szczepanski ab 9.50 Uhr vom NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags vernommen wird.
Interessierte Bürger und Journalisten sitzen zwar in dem Saal, in dem der Untersuchungsausschuss für gewöhnlich öffentlich tagt. Die Plätze der Abgeordneten und der Zeugen bleiben diesmal aber leer. Die Politiker und Szczepanski sprechen in einem zweiten Saal am anderen Ende des Gebäudes miteinander. Bilder werden von dort nicht übertragen, nur der Ton. Man kann stundenlang hören, was geredet wird.
Zunächst belehrt der Ausschussvorsitzende Holger Rupprecht (SPD) den Zeugen mit dem üblichen Hinweis, dass für Falschaussagen Strafen drohen, und sagt dazu den Standardsatz: »Ich sage das nicht, weil ich Ihnen misstraue.« Da bricht im Zuhörersaal, in dem etliche Rechtsex᠆tremismusexperten sitzen, Gelächter aus. Schließlich gibt es in diesem Fall reichlich Anlass für Misstrauen.
So glaubt die Abgeordnete Inka Gossmann-Reetz (SPD) dem Zeugen nicht, als dieser gegen Mittag behauptet, er habe für den Geheimdienst gespitzelt, um sich aus der rechten Szene zu lösen und Wiedergutmachung für seine Taten zu leisten. Das Schreiben, in dem sich Szczepanski dem Verfassungsschutz andiente, klinge ganz anders, bemerkte Gossmann-Reetz.
Auch Rechtsanwalt Christoph Kliesing hält nichts von der Aussteigerthese. Kliesing hatte sich 1992 und später um Steve Erenhi gekümmert, einen nigerianischen Asylbewerber, der am 9. Mai 1992 von einer Meute mit Szczepanski und seinen Kumpanen brutal verprügelt und in den Scharmützelsee geworfen worden war, wo der schwer verletzte Nigerianer beinahe ertrunken wäre. Nach Kliesings Einschätzung ist Szczepanski damals in erster Linie weder ein überzeugter Neonazi noch ein Aussteiger gewesen, sondern ein »Kaufmann«, der in der Szene und mit seinem Wissen über diese Szene Geschäfte machen wollte. Er betrieb ja dann auch später einen vom Verfassungsschutz mitfinanzierten Laden in Königs Wusterhausen. Zweifel an der Ausstiegslegende nährt auch die von dem Abgeordneten Volkmar Schöneburg (LINKE) ins Spiel gebrachte Tatsache, dass »Piatto« den Verfassungsschutzbeamten Briefe mit der Grußformel »88« schrieb, was unter Neonazis die verklausulierte Bezeichnung für »Heil Hitler« ist.
Wenn möglich soll der NSU-Ausschuss klären, ob die NSU-Mordserie hätte verhindert werden können, wenn die Hinweise des V-Manns »Piatto« auf den Verbleib des untergetauchten NSU-Trios Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe in Chemnitz angemessen beachtet worden wären. Nicht umsonst sprach der Abgeordnete Schöneburg im Vorfeld der Vernehmung Szczepanskis von einem »Höhepunkt der Beweisaufnahme«.
Welche Informationen über Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe er geliefert habe, könne er heute aber nicht mehr sagen, bedauert Szczepanski am Montag. Persönlich getroffen habe er die nie, nur von anderen etwas über sie erfahren. Mit ruhiger, einschmeichelnder Stimme erzählt Szczepanski, wie er in den 1980er Jahren in Westberlin als Junge aus sozialdemokratischem Elternhaus über die Skinheadmusik zur Neonaziszene kam, zunächst zur Nationalistischen Front. »Ich war nicht so der typische Hitler-Fan, ich interessierte mich eher für die Strasser-Brüder«, erläutert er. Otto Strasser begab sich bereits 1929 in Opposition zur NSDAP, sein Bruder Gregor zog sich aus der Parteiführung zurück und wurde 1934 von den Faschisten ermordet. Die Strassers gelten als Köpfe des quasi echt nationalsozialistischen, auf die Arbeiterbewegung fixierten Flügels der NSDAP, der eine Revolution wollte, was jene Kapitalisten störte, die Hitlers Aufstieg finanzierten. Eine Art nationale Revolution erträumte auch der junge Szczepanski. In seiner Wohnung fand die Polizei alsbald Utensilien für Rohrbomben. Er habe keine Bomben gebastelt, den Karton gar nicht angerührt, beteuert er heute, gibt aber zu, er habe gerüstet sein wollen »für den Tag X«. Das hinderte ihn allerdings nicht, sich bei der Bundeswehr und bei der Polizei zu bewerben. Natürlich stand das im Gegensatz zu seiner politischen Überzeugung, räumt er ein. Aber ihn lockte, dass eine Stelle dort sicher und gut bezahlt gewesen wäre. Szczepanski wurde jedoch nicht genommen.
In der Vernehmung gibt es Ungereimtheiten. So behauptet Szczepanski, nach seiner Erinnerung habe er bereits 1991, als er wegen des Angriffs auf den Nigerianer Erenhi in Untersuchungshaft gesessen habe, Kontakt zum brandenburgischen Verfassungsschutz aufgenommen. Doch der Angriff wurde erst 1992 verübt, und der Geheimdienst soll den V-Mann »Piatto« nach Aktenlage erst 1994 angeworben haben, als er schon seine Haftstrafe verbüßte. Hier liegt nun der Verdacht nahe, dass Szczepanski etwas durcheinanderbringt, wenn er denkt, damals sei es doch darum gegangen, ob er noch nach Jugendstrafrecht verurteilt werde - und 1991 sei er 21 Jahre alt gewesen. Gemutmaßt wird schon länger, dass »Piatto« bereits für andere Geheimdienste arbeitete, bevor der märkische Verfassungsschutz ihn verpflichtete. Er dementiert dies aber. Zu seinem Leben heute will er nichts sagen, nicht einmal, ob er noch Anhänger des Fußballvereins Hertha BSC ist.
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