Die Spätreifeprüfung

Die Bestsellerverfilmung »Vom Ende einer Geschichte« vermittelt eine lebensbejahende und humanistische Botschaft

  • Leo Schmidt
  • Lesedauer: 3 Min.

Tony Webster führt ein gewöhnliches Leben. Mit seiner Ex-Frau versteht er sich, er nimmt so gut es geht am Alltag seiner schwangeren Tochter teil, und wenn sich mal jemand in sein Fotogeschäft verirrt, ist das schon die Ausnahme. Doch als Tony überraschend das Tagebuch seines alten Freundes Adrian erbt, zwingt es ihn, die Ereignisse seiner Jugend und seine eigenen Handlungen infrage zu stellen. Um eine Antwort auf seine Fragen zu erhalten, nimmt Tony Kontakt zu seiner Jugendliebschaft auf, die ihn damals für Adrian verlassen hat. Doch die reißt eine besonders tiefe und alte Wunde wieder auf.

»Vom Ende einer Geschichte« ist handwerklich überaus geschickt, wirkt durch den Einsatz minimaler Mittel und einer ruhigen Bildsprache geradezu dokumentarisch.

Pointiertheit und starker Ausdruck sind Eigenschaften, die bereits an der Vorlage, dem gleichnamigen Roman von Julian Barnes, gelobt wurden. Regisseur Ritesh Batra versteht sich darauf, die Stärken des Stoffs auch im Film herauszuarbeiten. Jim Broadbent spielt die Mischung aus apologetischem Griesgram und destruktivem Sucher nach Erlösung ohne falsche Wehleidigkeit. Es wird nicht geheult, wo ein gequältes Lächeln den Zweck besser erfüllt, und nicht geschrien, wenn ein betretenes Schweigen zum rechten Zeitpunkt größere Wirkung entfaltet. Das Ergebnis ist ein ruhiger Film, der gerade deshalb Momente erschafft, die den Zuschauer schmerzhaft treffen.

Auffällig gut inszeniert ist der Kontrast zwischen den aktuellen Ereignissen und Tonys Jugend. Die in ihrer Folge dramatischen Ereignisse der 60er Jahre sind geprägt von Intimität zwischen außergewöhnlichen Charakteren, Tony fühlt sich von Exzeptionalität angezogen. Die Gegenwart hingegen zeigt einen alten Mann, der sich mit Alltag und Gewöhnlichkeit abfindet, obwohl er sie verabscheut, und zu jeder Person auf Distanz bleibt, als sei er allergisch gegen Normalität. Ob nun der Small Talk mit Kunden in seinem Laden, der Umgang mit dem Postboten oder Schwangerschaftskurse mit seiner Tochter - Tony erträgt sein Leben, statt es zu genießen. Sein Abschließen mit der destruktiven Vergangenheit und der Lustgewinn am Hier und Jetzt sind der eigentliche Kern des Films. Es geht nicht um Zufriedenheit mit dem Mittelmaß, sondern um den Wert des Menschen ungeachtet seiner Schäden. Subtile Kniffe wie Bildkomposition und Platzierung der Akteure unterstreichen Tonys charakterliche Entwicklung.

Am Ende steht keine ausformulierte Moral, keine Lektion über das Miteinander oder die Bewältigung von Vergangenheit und Schuld. Lediglich die Einsicht, dass Fehler so gewichtig sind wie ihre Konsequenzen und Vergebung auch aus dem Inneren kommt. Tony ist nicht zu alt und bequem für Erkenntnis und Entwicklung, seine Bewältigung der Vergangenheit verbessert das Leben aller Menschen in seinem Umfeld. Was leicht in die Banalität und den Kitsch hätte abrutschen können, vermittelt stattdessen eine glaubhaft lebensbejahende und humanistische Botschaft und bietet sowohl Tony als auch dem Publikum eine Reise mit echtem Abschluss - es ist immer schön, wenn ein Film sein Versprechen hält.

»Vom Ende einer Geschichte«, Großbritannien 2018. Regie: Ritesh Batra; Darsteller: Jim Broadbent, Charlotte Rampling, Harriet Walter, Emily Mortimer. 108 Min.

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