- Politik
- Österreichische EU-Ratspräsidentschaft
Österreich setzt Schwerpunkt auf Abschottung
Kommende Ratspräsidentschaft im Zeichen von Flüchtlingsabwehr und europäischem Rechtsruck
Die Stoßrichtung ist eindeutig. »Ein Europa, das schützt«, ist das offizielle Thema, unter dem die österreichische EU-Ratspräsidentschaft stehen wird, die mit Anfang Juli beginnt. Die Rechtsregierung in Wien will in den kommenden sechs Monaten »Sicherheit und Kampf gegen illegale Migration« zu einem der Hauptschwerpunkte der EU machen.
Laut österreichischer Bundesregierung solle der Fokus der Europäischen Union vor allem »auf dem Schutz der Außengrenzen« liegen, wie es in der offiziellen Ankündigung zur Präsidentschaft heißt. Rechte Parteien und Regierungen verschiedener EU-Staaten klatschen bereits begeistert Applaus. EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani, ein hochrangiges Mitglied der Forza Italia von Silvio Berlusconi, wird in der Ankündigung gar mit den Worten zitiert, dass es bei der Migrationsfrage um »die Zukunft Europas« ginge.
Bereits im Vorfeld der Präsidentschaft versuchten die Koalitionspartner Österreichische Volkspartei (ÖVP) und Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ), das Thema Migration hochzuspielen. Anfang Juni etwa erklärte Bundeskanzler Sebastian Kurz von der ÖVP, dass eine neue Balkanroute über Albanien im Entstehen sei, die dringend geschlossen werden müsse. Der Schönheitsfehler: Sogar der albanische Ministerpräsident Edi Rama zeigte sich sehr verwundert und erklärte, dass es schlichtweg »kein Problem« gäbe. Noch schärfer äußerte sich Erhard Busek, immerhin Vorgänger von Kurz als Chef der ÖVP und ehemaliger österreichischer Vizekanzler. Er erklärte zu einer angeblichen Route über Albanien schlicht: »Die gibt’s gar nicht.« Ungeachtet der Widersprüche legte Kurz noch nach und forderte gar eine »Achse der Willigen« zwischen Rom, Berlin und Wien, um eine neue »Albanien-Route« und »eine Situation wie 2015« zu verhindern. Der historisch belastete Begriff einer Achse Rom-Berlin scheint Kurz dabei nicht weiter gestört zu haben.
Auch das Programm der österreichischen Ratspräsidentschaft zeigt, dass ÖVP, FPÖ und ihre internationalen Co-Denker die Themenbereiche Migration und geflüchtete Menschen in den kommenden Monaten am Kochen halten werden. Bereits am 12. Juli sollen in Innsbruck die Justiz- und Innenminister der EU-Staaten zusammentreffen. Für die einschlägige Themensetzung wird nicht zuletzt der österreichische Innenminister bürgen. Herbert Kickl war vor seiner Berufung zum Minister über viele Jahre Generalsekretär der FPÖ und gilt als zentrales Mastermind der Partei. Von ihm stammen Wahlkampfslogans wie »Abendland in Christenhand« oder »Daham statt Islam«.
Ende August sollen dann die Außenminister und die Verteidigungsminister der EU-Staaten in Wien zusammentreffen. Schwerpunkte werden hier die Brexit-Verhandlungen, die EU-Aufrüstung im Rahmen des neuen Militärbündnisses PESCO sowie die EU-Erweiterung am Westbalkan sein. ÖVP und FPÖ werden allerdings vermutlich auch die Debatten um die EU-Erweiterung eng an das Thema Migration koppeln. So erklärte Kurz etwa in einem Gespräch mit »Zeit«-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo am 22. Juni, dass flüchtende Menschen künftig in Lagern in jenen Staaten untergebracht werden könnten, die der EU beitreten wollen.
Eine weitere Welle von EU-Konferenzen mit einschlägigem Schwerpunkt soll es dann im Herbst geben. Geplant sind mehrere Treffen zum Thema Frontex in Wien. Der Ausbau dieser militärischen Abwehr flüchtender Menschen dürfte ein zentraler Plan für die kommenden Monate sein. Auch EU-Parlamentspräsident Tajani erklärt in der Ankündigung zur österreichischen Ratspräsidentschaft: »Wir müssen Frontex stärken« und fordert Lager für Flüchtlinge und Migranten außerhalb der EU. Anfang Oktober schließlich ist eine eigene Konferenz zum Thema Migration in Wien geplant.
Bereits vor der EU-Ratspräsidentschaft haben Spitzenpolitiker von ÖVP und FPÖ eine intensive einschlägige Reisetätigkeit begonnen. So war Bundeskanzler Kurz am 21. Juni in Budapest zu Gast bei einer Konferenz der Visegrád-Staaten Ungarn, Polen, Tschechien, Slowakei, die allesamt als Vorreiter der Abschottung gelten. Auf kritische Nachfragen konnte Kurz darauf hinweisen, dass er ohnehin nicht nur mit rechten Politikern konferiert hätte, sondern auch die sozialdemokratisch regierte Slowakei auf seiner Linie wäre. FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache besuchte inzwischen den neuen italienischen Innenminister Matteo Salvini von der rechtsextremen Lega, der ihn danach als Verbündeten »zur Verteidigung unserer Völker« bezeichnete.
Vor allem aber scheint die österreichische Regierung zunehmend in die deutsche Innenpolitik zu intervenieren. So erklärte Kurz bei einem Treffen mit der bayerischen Landesregierung in Linz, dass diejenigen, die im Jahr 2015 die Grenzen geöffnet haben, daran schuld wären, »dass es heute Grenzkontrollen gibt zwischen Österreich und Bayern, Ungarn und Österreich, Italien und Österreich, und die Situation vielleicht noch schlimmer wird«, wie die »Oberösterreichischen Nachrichten« berichten.
Kurz stellte sich damit im Streit innerhalb der Union klar auf die Seite der CSU. Postwendend erklärte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, dass während der österreichischen Ratspräsidentschaft »ein neuer Wind durch Europa wehen« würde. Laut Welt am Sonntag will die CSU nun statt Kanzlerin Angela Merkel auch lieber Kurz als Wahlkampfhelfer nach Bayern holen.
Während ÖVP und FPÖ versuchen, vor allem das Thema Migration ins Zentrum zu rücken, stehen für viele Menschen in Österreich aktuell ganz andere Themen im Vordergrund. Anfang Juli möchte die Regierung einen Regelarbeitstag von 12 Stunden durchs Parlament peitschen. Es ist eine langjährige Forderung aus der Industrie, die nun von den beiden neoliberalen Parteien umgesetzt werden soll.
Im Herbst wollen ÖVP und FPÖ die Absicherung von arbeitslosen Menschen komplett umgestalten. Bisher gab es eine Grundabsicherung, die unter bestimmten Bedingungen zeitlich unbegrenzt ausbezahlt wurde. Die rechten Parteien wollen nun auf die Ersparnisse von arbeitslosen Menschen zugreifen und nehmen sich dabei das Hartz-IV-Modell von Rot-Grün in Deutschland zum Vorbild. Schließlich soll auch im Gesundheitswesen massiv gekürzt werden, allein das Budget der Unfallversicherung soll um ein Drittel reduziert werden. Ob es der Regierung gelingen wird, von all diesen Sozialkürzungen mit dem Thema Migration abzulenken, bleibt abzuwarten.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!