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Abschottung und fehlende Solidarität

Der Streit um die Migrationspolitik zeigt sich, wie tief die Gräben in Europa sind

  • Kay Wagner, Brüssel
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Situation scheint verfahren. Eigentlich sollte das Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag in Brüssel ja einen Durchbruch in der europäischen Flüchtlingspolitik bringen. So konnte man Bundeskanzlerin Angela Merkel verstehen, als sie die CSU vor einigen Tagen gerade noch davon abhalten konnte, Ernst zu machen mit der direkten Zurückweisung von Flüchtlingen an der deutschen Grenze, die schon in anderen EU-Ländern registriert sind. Besser, als so etwas im nationalen Alleingang zu beginnen, wäre es doch, eine europäische Lösung für dieses Problem zu finden - so Merkels Argument. Auf das sich die CSU einließ.

Doch jetzt gibt Merkel noch vor Beginn des Gipfels selbst zu, dass eine solche europäische Lösung nicht zu erwarten ist. Zumindest nicht auf dem Gipfel. Was schlicht daran liegt, dass die Frage, wie die EU-Mitgliedstaaten untereinander mit den Flüchtlingen umgehen sollten, die bereits auf EU-Boden gelangt sind, die schwierigste Frage überhaupt der EU-Flüchtlingspolitik ist. Gut möglich, dass sich die Gipfelteilnehmer daher nicht lange mit diesem seit Jahren festgefahrenen Streit aufhalten, sondern Beschlüsse eher auf Feldern der Flüchtlingspolitik treffen, die an den aktuellen Problemen nicht sehr viel ändern werden.

Da wäre zum einen die Zusammenarbeit mit Drittländern, um Migration in die EU so gering und kontrolliert wie möglich zu halten. Und zum anderen die Stärkung der Europäischen Agentur für Grenz- und Küstenwache Frontex. Für letzteres will die EU-Kommission beim Gipfeltreffen neue Vorschläge präsentieren. Zusätzlich sollen die europäische Asyl-Agentur gestärkt und gemeinsame Regeln zur Rückführung von Flüchtlingen gefunden werden. Diese Vorschläge der Kommission könnten leicht die Zustimmung der meisten Gipfelteilnehmer finden. Denn sie dienen letztlich der Ablehnung von Menschen - und das wird in vielen EU-Mitgliedstaaten mittlerweile ausdrücklich begrüßt.

Die Vorlage des EU-Ratspräsidenten Donald Tusk für die Abschlusserklärung des Gipfels gehen in die gleiche Richtung. Tusk schlägt die Einrichtung von Asylauffangzentren außerhalb der EU-Grenzen vor - zum Beispiel in nordafrikanischen Staaten. Dorthin sollen alle Flüchtlinge geschickt werden, die auf dem Mittelmeer außerhalb der EU-Hoheitsgewässer aufgegriffen werden. In diesen Zentren soll dann geprüft werden, ob ein Flüchtling Anrecht auf Asyl hat oder nicht. Vorbild ist das EU-Türkei-Abkommen. Seit dieses 2016 in Kraft getreten ist, kommen sehr viel weniger Flüchtlinge nach Griechenland, Bulgarien und Rumänien, wie es seitens der EU immer heißt. Auch wenn zurzeit noch völlig offen ist, ob und wie konkret sich dieser Vorschlag praktisch umsetzen ließe, wird wohl auch er auf mehr oder weniger breite Zustimmung bei den Gipfelteilnehmern stoßen.

Gabi Zimmer, Fraktionschefin der Linken im Europaparlament, kritisiert das ausdrücklich. Von einer neuen »Barbarei« spricht sie, wenn sie die aktuellen Entwicklungen in der europäischen Flüchtlingspolitik betrachtet. Europa - inklusive Merkel - sei dabei, immer mehr den Forderungen rechter Regierungen zu folgen und seine Werte aufzugeben. »Jeder Flüchtling hat zunächst das Grundrecht, nach Europa zu kommen«, sagte sie bei einem Pressegespräch am Dienstag in Brüssel. Menschen pauschal schon an der Flucht in die EU zu hindern, verstoße gegen europäisches Recht. Eine Abschottung der EU und die Einrichtung von Asylzentren außerhalb der EU lehnt Zimmer kategorisch ab. Statt über solche Dinge nachzudenken, müssten die EU-Staaten sich endlich auf die Reform der Dubliner-Verordnung einigen. Das sei der einzige Weg, wie menschenwürdig und vernünftig eine europäische Lösung für den Umgang mit Flüchtlingen gefunden werden könne, so Zimmer.

Solche Reformvorschläge wurden bereits 2016 von der EU-Kommission vorgelegt. Im November 2017 einigte sich das Europaparlament auf seine Position dazu. Seitdem wartet das Parlament darauf, dass auch die EU-Mitgliedstaaten ihre Position finden, so dass beide Einrichtungen dann über die endgültigen neuen Regeln verhandeln können. Mehrfach bereits hat das Parlament die Mitgliedstaaten dazu aufgefordert, bei dieser Beschlussfassung endlich voranzukommen. Doch das scheitert unter anderem an der strikten Weigerung einiger mittel- und osteuropäischer Staaten, grundsätzlich Flüchtlinge aufzunehmen. Die Reform der aktuell geltenden Dublin-Verordnung sieht aber genau dies vor: Nämlich dass alle EU-Mitgliedstaaten Flüchtlinge aus den Ländern aufnehmen, wo sie EU-Boden betreten. Und dann nach EU-weit gleichen Verfahren entscheiden, ob der Flüchtling Recht auf Asyl hat oder nicht.

Dass der Gipfel hier einen Durchbruch erzielen könnte, ist fast ausgeschlossen. Doch nur klare Regeln, wie mit Flüchtlingen innerhalb der EU umgegangen wird, und die tatsächliche Umsetzung dieser Regeln können die aktuellen Probleme lösen. Dann würden sich wohl auch italienische Häfen wieder leichter für Flüchtlingsboote öffnen, wenn das Land sehen würde: Die Menschen bleiben nicht alle bei uns. Dann würden sie auch nicht weiter nach Deutschland geschickt, und die CSU müsste sie an der Grenze nicht zurückschicken. Doch zu so viel Solidarität untereinander scheinen zumindest einige EU-Mitgliedstaaten nicht bereit.

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