Beschluss auf Verdacht
Österreichs Parlament segnet Freihandelsabkommen CETA vor rechtlicher Klärung ab
Am Donnerstag hat der Bundesrat, die Länderkammer des österreichischen Parlaments, mit 38 gegen 21 Stimmen das Freihandels- und Investitionsabkommen CETA zwischen der EU und Kanada abgesegnet. Ein Antrag der sozialdemokratischen SPÖ, eine Volksabstimmung dazu abzuhalten, wurde abgelehnt. Vor zwei Wochen hatte bereits der Nationalrat mit den Stimmen der beiden Regierungsparteien ÖVP und FPÖ sowie der liberalen Partei Neos CETA zugestimmt.
Gegen das Abkommen protestiert in Österreich seit Jahren eine breite Bewegung. Federführend ist die Plattform »Anders Handeln«, die vom globalisierungskritischen Netzwerk Attac, von Umweltverbänden, Gewerkschaften und der Kleinbauernorganisation ÖBV-Via Campesina Austria initiiert wurde. Sie kritisieren seit Langem, dass CETA zahlreiche soziale und ökologische Verwerfungen mit sich bringen sowie den Klimawandel weiter verschärfen werde. Franziskus Forster von ÖBV-Via Campesina Austria betont gegenüber der österreichischen Online-Zeitung »mosaik«, dass das Abkommen eine weitere Markt- und Machtkonzentration von Großkonzernen mit sich bringen werde. CETA stärke die klimaschädliche industrielle Landwirtschaft und erhöhe den Druck auf Kleinbauern in Europa wie in Kanada.
Als besonders fatal sehen die Kritiker die darin vereinbarten Sonderklagerechte von Investoren an. Was diese in der Praxis anrichten, zeigt eine neue Studie des Transnational In-stitute zum Energiecharta-Vertrag. Dieser verlieh Konzernen enormen Einfluss auf die Energiepolitik, schaffte er doch die Möglichkeit, Staaten vor internationalen Schiedsgerichten zu verklagen und dadurch die Energiewende zu blockieren. Verklagt werden aktuell unter anderem Deutschland wegen des Atomausstiegs oder Italien wegen des Verbots von Ölbohrungen. In Summe sind Klagen von 35 Milliarden Dollar anhängig - ein Desaster für die Umwelt- und Klimapolitik.
»Anders Handeln« appellierte bereits mehrmals an politische Entscheidungsträger, CETA nicht zu ratifizieren. Gegenwärtig prüft der Europäische Gerichtshof (EuGH), ob die darin enthaltenen Sonderklagerechte, die im sogenannten Investor-Court-System (ICS) festgeschrieben sind, dem EU-Recht widersprechen. Der EuGH zeigte sich in der Verhandlung kritisch gegenüber dem ICS. Das Urteil könnte Ende 2018 fallen.
Den Beschluss des österreichischen Parlaments zum jetzigen Zeitpunkt bezeichnen die Kritiker nicht nur als politisch falsch, sondern auch als voreilig. Die Regierung beschließe CETA »auf Verdacht«, wie Alexandra Strickner von Attac betont. Andere EU-Länder verhielten sich dieser Frage bedachter: So bekräftigte die niederländische Regierung, sie werde das Freihandelsabkommen nicht vor dem EuGH-Entscheid ratifizieren. In Deutschland lehnte der Bundestag Mitte des Monats einen Antrag der FDP auf beschleunigte Ratifizierung ab. Auch die Regierung will auf den Gerichtshof und die ebenfalls laufende Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht warten. Insgesamt hatten bisher nur 11 der 28 EU-Staaten CETA ratifiziert.
Besonders verlogen in dieser Frage ist das Abstimmungsverhalten des rechtsextremen Koalitionspartners FPÖ: Hatte die Partei vor der Wahl stets betont, das Freihandelsabkommen abzulehnen, stimmte sie nun CETA in beiden Kammern zu. Entgegen FPÖ-Behauptungen wurden kritische Passagen aus der ursprünglichen Fassung von 2016 keineswegs geändert. Daran sehe man deutlich, dass die FPÖ eine Partei der wirtschaftlichen Eliten sei, meint Attac-Aktivistin Alexandra Strickner.
Der Kampf gegen CETA in Österreich geht weiter. Auch weil Bundespräsident Alexander Van der Bellen noch zustimmen muss. Dieser hatte im Wahlkampf angekündigt, CETA in der vorliegenden Form nicht zu unterschreiben. Der Grünen-Politiker hatte nach seinem Wahlsieg vom Dezember 2016 zunächst hohe Erwartungen geweckt. Diese wurden vor allem nach der Berufung einer Reihe von FPÖ-Hardlinern in hohe Regierungsämter ein Jahr später bereits bitter enttäuscht. Mit seiner ausstehenden Entscheidung zu CETA hätte Van der Bellen die Gelegenheit, eine soziale und ökologische Politik zu fördern und dem Kurs der Regierungsparteien eine Absage zu erteilen, meint »Anders Handeln«.
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