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Gefangene ihrer selbst

Die DFB-Elf steckt in der Zwangsjacke des Weltmeisters fest, zugeschnürt hat sie Joachim Löw

So schnell ging es noch nie: Nachdem eine deutsche Nationalmannschaft erstmals in der Gruppenphase einer Weltmeisterschaft ausgeschieden war, landete der Tross des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) schon am Donnerstagnachmittag wieder in Frankfurt am Main. Mitgebracht hat die Reisegruppe aus Russland einen Riesenberg voller Probleme und offener Fragen.

Eine konnte Joachim Löw immerhin schon am Mittwochabend in Kasan beantworten. »Ich denke nicht«, sagte der Bundestrainer nach kurzem Überlegen. Gefragt hatte mit David Fioux ein französischer Journalist, ob auf den deutschen Fußball jetzt dunkle Zeiten zukommen würden. Ganz unberechtigt ist der apokalyptische Ansatz nicht. Und die Wahrnehmung Außenstehender kann die eigene Perspektive bekanntlich auch bereichern. In Russland jedenfalls waren Mannschaft und Trainer Gefangene ihrer selbst, als steckten sie in der Zwangsjacke des Weltmeisters fest.

Aber erst mal hat Joachim Löw alles richtig gemacht - in Kasan, nach der Niederlage gegen Südkorea. Er übernahm die »volle Verantwortung« für das Ausscheiden. Eine ehrliche wie richtige Einschätzung. Und der Bundestrainer bat um Zeit. Löw will und muss mit etwas Abstand und nach ausgiebiger Analyse entscheiden, ob er die DFB-Auswahl weiterhin führen will. Auch das ist ein eindeutiges Signal, dass er die Schuld bei sich selbst sucht. Wie 2012. Den Fehler, im Halbfinale gegen Italien nicht auf die Stärken der eigenen Mannschaft gesetzt, sondern die Taktik viel zu sehr auf den Gegner ausgerichtet zu haben, gestand er zwar mit reichlich Verspätung ein. Direkt nach dem EM-Aus wollte er aber auch schon nichts zu seiner eigenen Zukunft sagen.

Sicher, es hätte bei dieser WM an dem einen oder anderen Punkt anders laufen können. So hätte beispielsweise das Spiel gegen Südkorea nicht mit 0:2 verloren gehen müssen. Chancen auf eigene Tore vor der Führung des Gegners gab es durchaus einige. Aber: Von der vor dem Gruppenfinale so oft beschworenen »Befreiung« oder »Erlösung« nach dem späten Sieg durch Toni Kroos’ wunderbares Freistoßtor gegen Schweden war rein gar nichts zu spüren.

Warum? Erste Antworten gibt die schnelle Fehleranalyse. Auch die führt direkt zu Joachim Löw. Statt etwas vom Schwung des besseren Schweden-Spiels mitzunehmen, brachte der Bundestrainer Behäbigkeit und Trägheit der Auftaktpartie gegen Mexiko zurück auf den Rasen - mit Sami Khedira und Mesut Özil in der Startelf. Ohne die beiden lief es besser. Und der überforderte Khedira war ja nicht ohne Grund schon nach einer Stunde Spielzeit gegen Mexiko ausgewechselt worden. Lauf- und Zweikampfstärke, zwei elementare Eigenschaften eines defensiv orientieren Mittelfeldspielers, ließ er auch gegen die Südkoreaner vermissen.

Es bedarf nicht immer schwerer, offensichtlicher Fehler, um schlecht zu sein. Bei Mesut Özil reicht es schon, Teil einer nicht perfekt funktionierenden Mannschaft zu sein. Filigran führt er den Ball dann immer noch, entscheidende Impulse aber kann er nicht geben. »Sicherheit« für das Spiel hatte sich Löw von Khedira erhofft, bekommen hat er das Gegenteil. Mit welcher Entschlossenheit hingegen Leon Goretzka spielt, konnte er leider nur andeuten. Weil er eben nicht aus der Zentrale heraus kam, sondern im Klein-Klein auf der Halbposition oder ganz Außen eingeschnürt war. Den von ihm vor dem Turnier hochgelobten Confed-Cup-Kapitän Julian Draxler ließ Löw, auch für Özil, komplett fallen. Der durchweg starke Timo Werner musste dafür über die linke Seite stürmen, wo er dann meist zu weit vom Tor entfernt war, um seine Abschlussqualität zu zeigen.

Joachim Löw fehlte der Mut, sich während des Turniers grundlegend zu korrigieren. Stattdessen werkelte er stückweise herum, setzte 19 der 20 Feldspieler ein. Das Ergebnis: Als Gruppenletzter kann man kaum weiter entfernt vom eigenen Ziel sein. Das weiß der Bundestrainer. »Wir haben es nicht verdient, dass wir in der Gruppe weiterkommen. Und wir haben es bei diesem Turnier nicht verdient, erneut Weltmeister zu werden.«

Bei einer ausführlicheren Analyse lassen sich einige Fehler schon auf dem Weg zur WM finden. Sami Khedira offenbarte Löws Linie: »Wir haben vor dem Turnier gesagt, dass die Weltmeister das Team führen müssen.« Egal, ob es fehlender Mut oder Fehleinschätzungen waren, es war falsch, den Umbruch in der Mannschaft erst nach dem Turnier vollziehen zu wollen.

Anzeichen einer Negativentwicklung gab es genug. Mats Hummels, einer der Spieler, der sich nicht vorwerfen lassen muss, nicht frühzeitig gewarnt zu haben, brachte es in Kasan noch mal auf den Punkt: »Das letzte wirklich gute Spiel haben wir im Herbst 2017 gemacht.« Da wurde mit zehn Siegen in zehn Spielen die WM-Qualifikation perfekt abgeschlossen. Mit jedem Auftritt danach wuchsen die Zweifel. Löw aber reagierte nicht. Er verharrte tatenlos in seiner Komfortzone, die er sich jahrelang erarbeitet hat. Seit 2008 führte er die DFB-Auswahl bei jedem Turnier mindestens ins Halbfinale. Auch daraus resultieren sein Denken und Bewusstsein: »Wir waren überzeugt, es geht schon gut, wenn das Turnier losgeht.« Und so lobte er betriebsblind weiter. Beispielsweise Sami Khedira nach dem Vorbereitungsspiel gegen Österreich. Nach einer Niederlage gegen einen Gegner, der ein paar Tage später von den Brasilianern nach allen Regeln der Fußballkunst zerlegt wurde. Und so ließ er beispielsweise mit Leroy Sané einen Spieler zuhause, der über Fähigkeiten wie kein anderer deutscher Fußballer verfügt: schnell, dribbelstark, unbekümmert, mit Zug zum Tor. Diese Qualitäten - perfekt für einen Einwechselspieler, der noch mal Schwung bringen soll - waren Löw als Alternative nicht gut genug. Oder er hat es nicht geschafft, sie ihn sein System einzubauen.

In Russland war all das nicht mehr zu reparieren. Immerhin gingen die Spieler wie ihr Trainer als gute Verlierer, selbstkritisch. »Erbärmlich«, nannte Torwart Manuel Neuer das Auftreten der Mannschaft. »Fakt ist, dass wir bei der WM kein richtig überzeugendes Spiel hatten«, bilanzierte Joshua Kimmich.

Schlechte Sieger waren auch dabei. Dass Uli Voigt als TV-Medienkoordinator des DFB und Georg Behlau, Leiter Büro Nationalmannschaft, nach dem 2:1 gegen Schweden mit ihrem Jubel den Gegner provozieren mussten, spricht dafür, wie wenig Glaube und Überzeugung schon im Umfeld der Mannschaft war.

Auch deshalb will DFB-Direktor Oliver Bierhoff jetzt »alles hinterfragen«. Nur bei einer Personalie scheint er sich sicher zu sein: »Ich gehe fest davon aus, dass Jogi weiter macht.« Vor der Weltmeisterschaft hatte Löw auch noch richtig Lust darauf. »Jetzt kommt ja wieder eine junge Generation nach. Das gibt mir persönlich einen Motivationsschub. In vier Jahren sind Spieler wie Kimmich, Werner, Sané, Süle, Brandt und Goretzka auf dem Zenit ihres Könnens. Das ist für mich spannend und eine reizvolle Aufgabe.«

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