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- Zweitälerland im Schwarzwald
Märchencafé und Mörderrutsche
Das idyllische Zweitälerland im Schwarzwald kombiniert kindgerechte Attraktionen mit badischen Köstlichkeiten.
Schatz, kommst du?« Die blecherne Stimme erinnert an die Telefone, die Kinder aus zwei Konservendosen plus Schnur basteln. Mit dem kleinen Unterschied, dass die Stimme des Ehegatten und das Gebrabbel des siebenjährigen Sohnes »Ist gar nicht so schlimm, Mama!« nicht aus einem Dosentelefon erschallen, sondern aus einem dunklen Loch von vielleicht 90 Zentimeter Durchmesser. Das Teil soll der Eingang zu »Europas längster Hochgeschwindigkeits-Röhrenrutschbahn« sein. 190 Meter ist diese lang, und sie bietet gemäß eigenen Angaben »einen unvergleichlichen Adrenalinschub«. In der Mutter erweckt dieses enge Loch lediglich Urängste. Einen Vorteil hat die Rutsche jedoch: Sie kürzt den Rückweg vom Baumkronenweg zum Parkplatz in Waldkirch deutlich ab - also: Augen zu und durch!
Der Schwarzwald im Sommer gilt gemeinhin ja als beschauliches Rentnerreiseziel: Berge, die nicht zu hoch sind, allzeit Sonnenschein, die herausragende badische Küche mit ihren Rehmedaillons, Flammkuchen, sauren Lebern, Elsässer Wurstsalat (mit Käse!) und natürlich der Schwarzwälder Kirschtorte. Das alles gibt es auch im Zweitälerland, einem aus Marketinggründen erfundenen Kunstbegriff, der das bei Freiburg startende Elztal und das davon abzweigende 25 Kilometer lange Simonswäldertal zusammenfasst.
Doch die Region bietet mehr: Abseits ausgetrampelter Touristenpfade können dort bewegungsfreudige Familien einen abwechslungsreichen naturnahen Urlaub mit kindgerechten Attraktionen und Wanderungen erleben. Neben dem Baumkronenweg mit besagter Riesenrutsche locken schattige Wanderwege mit Wasserfällen wie die Wildbachtour, urige Bauernhöfe, noch immer klappernde Mühlen an der rauschenden Wutach, Minigolf und ein Freibad mit Schwarzwaldpanorama.
Das alles gibt es zu fairen Preisen: So kostet beispielsweise eine schicke Ferienwohnung mit einem Schlafzimmer für eine dreiköpfige Familie 54 Euro pro Nacht, für ein spätes Essen mit Wurstsalat, Kuchen und Eis beläuft sich die Rechnung im Café Märchengarten auf rund 30 Euro. Das Café ist überhaupt der Knüller: Die Erwachsenen lieben die Torten und Kuchen, der Nachwuchs stürzt sich in den tatsächlich vorhandenen Märchengarten: Rapunzel, Aschenbrödel, Schneewittchen - alle sind sie da, samt Burgen und Schlösschen. Zwei weitere Sehenswürdigkeiten sollten Urlauber nicht verpassen: Die über 300 Jahre alte Ölmühle in Simonswald und die Seifentruhe in Elzach, in denen drei Frauen, darunter eine Biologin, aus natürlichen Zutaten Seifen produzieren.
Die Augustsonne brennt. Die Ölmühle steht idyllisch zwischen der Wilden Gutach und dem eigens angelegten Mühlenkanal. Im Innern ist das Jahr 1712 auf den hölzernen Torkelbaum geritzt. Der zehn Meter lange Hebelarm presst mittels Wasserkraft die Walnüsse, so dass das Öl, ähnlich wie beim Mosten von Apfel- und Traubensaft, aus der Trotte (oder Kelter) fließen kann. Der Betrieb der Ölmühle funktioniert in Simonswald nur dank 80 ehrenamtlicher Helfer, die unter anderem in stundenlanger Handarbeit die Nüsse knacken und verlesen. Die Ölmühle ist also nicht nur eine Sehenswürdigkeit, sondern hat heute noch innerhalb der Gemeinde eine soziale Funktion: Alljährlich treffen sich dort im Winter und Frühjahr vorwiegend ältere Simonswälder, um gemeinsam die Walnüsse zu verarbeiten. »Wir sind hauptsächlich Rentner, darunter viele Ehepaare. Und irgendwann kommt halt mal der Tag, an dem einer von beiden stirbt. Das ist ganz normal. Dann zieht sich der Trauernde für einige Monate zurück, aber irgendwann sagt dann einer von uns zu der Witwe oder dem Witwer: Komm doch mal wieder vorbei. Wir sitzen dann zusammen, knacken stundenlang Nüsse und unterhalten uns«, erzählt Erich Schwär. Der 81-Jährige ist einer derjenigen, der die Ölmühle am Laufen hält. In der ländlich geprägten Region sind von den 80 Aktiven etwa 25 Handwerker, die alle mit anpacken, wenn es in der Mühle etwas zu reparieren gibt. Schwär: »Wir haben viele Aufgaben, auch in der Gästebetreuung. Und bei uns machen auch Leute mit, die sich von der Gesellschaft ausgegrenzt oder nicht so akzeptiert fühlen. Wir sind nicht nur eine Gemeinschaft, sondern auch ein halber Sozialbetrieb.«
Nebenan im selben Gebäude befindet sich eine stillgelegte Getreidemühle mit einem »Kleiekotzer«. Was unappetitlich klingt, hat seine Berechtigung: Während das gemahlene Mehl im Kasten der Mühle landet, spuckt der Mund der kunstvoll verzierten Holzfratze die Kleie separat aus. Im Obergeschoss der beiden Mühlen befindet sich zudem das sehenswerte Trachtenmuseum, in dem Besucher auch viel über das Leben im Zweitälerland vor 100 Jahren erfahren. Dort erzählt Albrecht Seng, dass es auch in Simonswald die Praxis gab, dass Kinder aus armen Familien ihre Eltern in jungen Jahren verlassen mussten, um sich als billige Arbeitskräfte auf fremden Bauernhöfen zu verdingen. Tim zu seinen Eltern: »Ich würde dann einfach wieder zurück zu euch laufen.« Tja, so einfach war das damals leider nicht.
In der Seifentruhe in Elzach darf der Nachwuchs gegen einen kleinen Obolus selbst Hand anlegen und seine eigene Seife herstellen. Dafür reibt Tim mit einer Käsereibe die Rohseife in kleine Späne, anschließend mischt er diese je nach Gusto beispielsweise mit Lavendelblüten, Rosenblättern und einige Tropfen Rosenöl. Dann kneten, kneten, kneten und den fertigen Teig in eine Plätzchenform drücken. Fertig ist das duftende Kunstwerk, welches mit nach Hause genommen werden darf. Es braucht nicht immer einen Adrenalinschub um ein Kind glücklich zu machen. Und auch die Eltern.
Infos
Zweitälerland Tourismus: Tel.: 07685) 194 33, www.zweitaelerland.de
Ausflüge: Eine Station beim Baumkronenweg (Erw. 6,50, Kinder 4,40 Euro, Fahrt in der Riesenrutsche 2 Euro) bietet sich bei An- oder Abreise an, da Waldkirch der Start bzw. das Ende des Elztals markiert.
www.baumkronenweg-waldkirch.de
Ölmühle in Simonswald: Nur Do und Sa geöffnet,
www.simonswald.de/de/tourismus-freizeit/tourismus/sehenswertes/oelmuehle
Seifentruhe:
Die Workshops in der Seifentruhe in Elzach finden meist freitagnachmittags statt. Anmeldung erforderlich. www.schwarzwaldseife.de
Die Wildbach-Tour (11,5 km, 668 Höhenmeter) erfordert eine gute Fitness, frühestens ab ca. acht Jahren. www.zweitaelerland.de/ Media/Tourenfinder/Wildbach-Tour-Simonswald
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