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Zwei Kerzen im Zweivierteltakt

Zwickau feiert den Trabant: Das viel geliebte und viel geschmähte Volksauto der DDR wird 50 Jahre alt

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 6 Min.
Er rollt und rollt: Der Trabant, der in Zwickau drei Millionen mal gebaut wurde und zum Volksauto der DDR avancierte, wird in diesem Jahr 50. Die Fans feiern ihre »Rennpappe«.
Der Crashtest fand an einer Straßenböschung statt. Zwei Volkspolizisten hielten den spärlichen Verkehr auf Abstand, vier Herren in Ledermänteln wuchteten das Gefährt in die Höhe und ließen es über die Motorhaube abrollen. Das Fahrzeug kugelte die Wiese hinab; das Dach flatterte davon. Mit verbeultem Kotflügel kam es schließlich zum Stehen.
Wenn Edgar Haschke den kleinen Film über den unorthodoxen Fahrzeugtest vorführt, ist eine gewisse Genugtuung nicht zu übersehen. Zwar wirkt es skurril, wie die Akteure des historischen Schwarzweiß-Streifens um das Auto wieseln. Die Botschaft aber ist durchaus ernst : »Das Stahlgerippe der Karosserie blieb intakt«, sagt Haschke. Der Trabant - und um kein anderes Auto handelt es sich - bietet bei bösen Unfällen immerhin ein Mindestmaß an Sicherheit.
Die Gewissheit ist nicht gering zu schätzen, denn inmitten vieler mit ABS und Seitenaufprallschutz aufgerüsteter Gefährte rollt auch der Trabi weiter über bundesdeutsche Straßen. Angekündigt von einem tuckernden Motorengeräusch, das noch kein Sounddesigner verfälscht hat, und eingehüllt in eine bläuliche Abgasfahne, zieht das Volksauto der DDR unbeirrt seine Bahn. Die dritte Spur einer Autobahn gehört dem kleinen Wagen, dessen 26-PS-Motor von zwei Kerzen im Zweivierteltakt befeuert wird, höchstens nachts mal. Auch der Laderaum ist bescheiden; es sei eben »ein Kleinwagen für zwei Erwachsene und zwei Kinder«, so Haschke. Dennoch erfreut sich der Trabant unerschütterlicher Anhänglichkeit - im Seniorentreff wie im Studentenwohnheim.

1,7 Prozent rollen noch
Wer wissen will, wie viele Menschen genau sich in Zeiten intelligenter Motorelektronik noch immer in ein Auto setzen, bei dem die Tankanzeige als Zusatzausrüstung galt, der ist bei Edgar Haschke genau richtig. Haschke, ein fideler Mann mit Faible für Anekdoten, leitet den Verein »Internationales Trabant-Register« in Zwickau und nennt Zahlen wie aus der Pistole geschossen. 52 400 Trabis seien noch gemeldet. Das sind zwar nur 1,75 Prozent der über drei Millionen Trabant, die im Zwickauer Sachsenring-Werk je gebaut wurden. Aber normalerweise, sagt Haschke, »ist ein Auto zehn Jahre nach Produktionsende von den Straßen verschwunden«. Die letzten Trabis liefen vor 16 Jahren vom Band. Und, sagt Haschke, »sie fahren immer noch«.
Anerkennung statt Gnatz ist also die angemessene Haltung, wenn wieder einmal ein Trabant an der Spitze einer Fahrzeugkolonne gemächlich über die Landstraße zuckelt. Dies gilt um so mehr, als er in diesem Jahr Geburtstag hat: Der Trabant wird 50. Am 7. November 1957 wurde mit dem Bau der Nullserie jenes Fahrzeugs begonnen, das fortan wie kein anderes das Straßenbild der DDR bestimmte. Ein Auto, auf das seine Besitzer jahrelang warteten und das sie dann dennoch mit mildem Spott bedachten; ein Fahrzeug, das in Größe und beschränktem Komfort zum Land passte, in dem es entwickelt wurde, und erst nach dessen Untergang 1989 »Auto des Jahres« wurde. Dem Begrüßungsgeld rollten die DDR-Bürger noch im Trabant entgegen. Zwei Jahre später, sagt Werner Reichelt, »wollte ihn niemand mehr kaufen«, weshalb es nur natürlich gewesen sei, dass die Produktion eingestellt wurde.

Karosse aus Wolle
Reichelt gehört zu den Männern, die dafür sorgten, dass sie überhaupt begann. Der Ingenieur arbeitete in den 50er Jahren in einer Forschungsabteilung, die den Trabant in die Geschichte des Automobilbaus katapultierte - als weltweit einziges Serienfahrzeug, das mit einer Karosse aus Duroplast gefertigt wurde. Die Idee, die bereits für den Vorläufer P 50 geboren wurde, sei zwar aus einer Notlage entstanden, sagt Reichelt: In der jungen DDR herrschte akuter Mangel an Karosserieblech. Die Lösung, die die Konstrukteure fanden, nennt er aber dennoch eine »einmalige Pionierleistung«.
Modern mutet das wichtigste Charakteristikum des Trabant auch heute noch an; schließlich bestand die Duroplast-Hülle teilweise aus Recyclingmaterial. Neben Phenolharz wurde für die Karosse nämlich Baumwolle verwendet, »Handelsklasse 6, die sonst für nichts zu gebrauchen war«, sagt der Ingenieur. Das ungewöhnliche Ausgangsmaterial sorgte dafür, das es in einigen Hallen des Zwickauer Werkes wie in einer Textilfabrik aussah: Auf Krempelmaschinen und anderen Anlagen wurde aus der Wolle ein feines Vlies hergestellt. Das wurde dann mit Kunststoffflocken zu Motorhauben, Türen und Kofferraumklappen gepresst. Es war, sagt Reichelt, »der richtige Werkstoff zur richtigen Zeit«.
Spott über die vermeintliche »Rennpappe« perlt an Reichelt denn auch ab wie Wasser an einem Trabi-Kotflügel. Der heute 79-Jährige lächelt darüber ebenso nachsichtig wie über die Ansicht, das Auto sei »mit Hammer und Meißel« gebaut worden. Der Wagen, der nach einem Wettbewerb in der Betriebszeitung auf den Namen »Trabant« (Begleiter) getauft wurde, sei vielmehr auf technologisch hohem Niveau produziert worden, assistiert sein Kollege, der Ex-Chefkonstrukteur Werner Lang. Er erinnert an vollautomatisierte Anlagen für Zylinderköpfe oder Bodengruppen und an Taktzeiten von 1,7 Minuten: In diesem Abstand liefen zu Spitzenzeiten neue Trabant vom Band. »Schneller«, sagt Lang, »ist man heute auch nicht.«
Nur, dass Autos, die heute vom Band laufen, eben viel moderner sind als der Trabi, der über Jahrzehnte kaum weiterentwickelt wurde und den zum Schluss auch ein VW-Motor nicht mehr vor dem Aus retten konnte. 12 000 Menschen verloren ihre Arbeit, nachdem die Fertigung bei Sachsenring am 30. April 1991 endete. Immerhin: Der Automobilbau in Zwickau, dessen Geschichte 1904 begann, war damit zum Glück nicht beendet. 6000 Menschen sind heute bei VW Mosel beschäftigt, weitere in vielen Zulieferfirmen der Region.

Ersatzteillage sehr gut
Der Trabant dagegen ist, sagt Edgar Haschke, inzwischen ein Oldtimer geworden, der Ausstellungen gewidmet bekommt. Haschkes Verein zeigt anlässlich des 50. Geburtstags in Zwickau zwei Dutzend Exemplare vom »Ur-Trabi« bis zum späten Trabant 1.1 Tramp. Dazu werden Vorläufer wie der P 70 präsentiert, dessen Plastdach noch auf ein Holzgestell geschraubt wurde. Auch das legendäre Trabi-Dachzelt ist zu sehen.
Aber, wie gesagt: Der Trabant rollt auch immer noch über die Straßen - teils als unverwüstliches und leicht zu reparierendes Nutzfahrzeug, teils als liebevoll gehegter fahrbarer Untersatz, der nur sonntags aus der Garage geholt wird. Die besessensten Anhänger treffen sich im Juni zum legendären Trabifahrer-Treffen auf dem Zwickauer Flugplatz. Dort werden Geschicklichkeitstests etwa im Wechseln von Keilriemen absolviert (Rekordzeit: 3:30 Minuten), ausgefallene Modelle präsentiert und Ersatzteile gehandelt. Beim Trabant 601 ist die Materiallage dem Vernehmen nach besser als zu DDR-Zeiten; ein Schweller für den P 50 dagegen ist laut Haschke »wertvoll wie Goldstaub«.
In diesem Jahr soll das Spektakel, zu dem regelmäßig etliche Tausend Trabifahrer kommen, noch ein wenig größer ausfallen als sonst - schließlich wird Geburtstag gefeiert. Eine Parade am 17. Juni soll auch über das ehemalige Werksgelände führen, wo einige hundert Trabant das legendäre Sachsenring-S nachstellen wollen. Im November dann ist in der Stadt, die nach den Worten von Oberbürgermeister Dietmar Vettermann »im Herzen immer die Stadt des Trabant geblieben ist«, eine ganze Festwoche geplant. Internationales Interesse erregt das Jubiläum schon jetzt. Das russische Fernsehen drehte kürzlich in Zwickau für eine Reportage. Zwar sei kaum ein Trabant je über sowjetische Straßen gerollt, sagt der Korrespondent. Doch sei das Auto schließlich »ein kulturelles Phänomen« und »ein Stück ostdeutscher Kultur«. Und: Es hat mehr als einen Crashtest unversehrt überstanden.

»50 Jahre Trabant« in Zwickau, Uhdestraße 11; Di. u. Sa. 9-17 Uhr. Mehr zur Trabant-Geschichte im Horch-Museum, Audistraße 7, tgl. außer Mo. 9:30-17 Uhr.
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