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Mehr schlechte Jobs
Eine gute Arbeitsmarktentwicklung bedeutet nicht mehr gute Arbeitsplätze
Der Berliner Arbeitsmarkt entwickelt sich gut. Die Zahl der Betriebe befindet sich mit rund 97.000 auf einem neuen Höchststand, zugleich stieg auch die Zahl aller Beschäftigten im vergangenen Jahr um gut vier Prozent. Damit ist Berlin in Sachen Beschäftigungsentwicklung bundesweiter Vorreiter. Das sind die guten Nachrichten.
Trotz der positiven Arbeitsmarktentwicklung sind jedoch immer mehr Menschen prekär oder atypisch angestellt, also ohne Tarifbindung, befristet, in Minijobs oder Leiharbeit. Im vergangenen Jahr war mit 39 Prozent deutlich mehr als ein Drittel aller Beschäftigten betroffen. »Prekäre Arbeit ist in Berlin nach wie vor an der Tagensordnung«, sagte die zuständige Senatorin Elke Breitenbach (LINKE) bei der Vorstellung des sogenannten Betriebspanels am Mittwoch.
Für die Studie im Auftrag der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales werden jährlich Unternehmer befragt, diesmal waren es 800 Betriebe. Das Panel zeige Tendenzen auf dem Arbeitsmarkt und sei Gradmesser für die Beschäftigungsverhältnisse in der Hauptstadt, so die Senatorin.
Fachkräfte in Berlin sind rar. Statt diese jedoch mit attraktiven Jobangeboten anzuwerben, wurde mehr als die Hälfte der neuen Verträge befristet abgeschlossen, kritisiert Breitenbach. »Das passt nicht zusammen.« Dabei seien wirtschaftlicher Erfolg und gute Arbeit kein Widerspruch.
Berlin liegt mit 13 Prozent befristeter Stellen deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Fast die Hälfte der befragten Betriebe gab an, dass es für die Befristungen keinen sachgerechten Grund gebe. »Diese Entwicklung ist hochproblematisch«, sagte Christian Hoßbach, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes DGB. »Eine befristete Anstellung bedeutet große persönliche Unsicherheit für die Beschäftigten und ist eine Hemmschwelle für ein selbstbewusstes Eintreten für die eigenen Rechte am Arbeitsplatz.« Erst am vergangenen Dienstag hatte der Senat beschlossen, die sachgrundlosen Befristungen für den öffentlichen Dienst aufzuheben. »Die privaten Unternehmen sollten sich daran ein Beispiel nehmen«, so Hoßbach.
Gleichzeitig gibt es immer weniger Tarifverträge. »Der Trend der Tarifbindung befindet sich auf Talfahrt«, sagte Marek Frei vom Institut für Sozialökonomische Strukturanalysen Berlin, das mit der Auswertung des Betriebspanels betraut war. Dennoch geben viele Betriebe an, sich bei der Bezahlung an den Tarifverträgen zu orientieren. »Die Entwicklung der Tarifbindung in Berlin ist besorgniserregend«, sagt DGB-Chef Hoßbach. Eine solche sei aber »in wirtschaftlichen Krisenzeiten der wichtigste Stabilitätsanker auf dem Arbeitsmarkt«. Der jetzige Boom werde nicht ewig anhalten, mahnt er.
Außerdem gibt es in der Hauptstadt viel zu wenig Ausbildungsplätze. Trotz der guten Arbeitsmarktentwicklung bieten nur 22 Betriebe überhaupt eine Ausbildung an - das liegt deutlich unter dem gesamtdeutschen Durchschnitt. Frei befürchtet, Berlin führe damit einen selbst gemachten Fachkräftemangel herbei. »Die Verfügbarkeit von Fachkräften könnte Probleme bringen, die wir jetzt noch vor uns herschieben.«
Senatorin Breitenbach sieht in der Ausbildung und Beschäftigung von Geflüchteten bislang ungenutztes Potenzial. Bisher hatten nur zehn Prozent der befragten Betriebe überhaupt Kontakt zu Geflüchteten. Bei immerhin der Hälfte führte dies jedoch zu einer Anstellung oder einem Praktikum. »Darauf lässt sich aufbauen«, so Breitenbach.
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