An den Tisch gestreikt

Im Arbeitskampf bei Neue Halberg Guss wird nächste Woche wieder verhandelt

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Arbeitskampf beim Autozulieferer Neue Halberg Guss (NHG) in Saarbrücken und Leipzig sind nach einer wochenlangen Verhärtung der Fronten jetzt offenbar Verhandlungen in Sicht. So wollen Geschäftsleitung und IG Metall am kommenden Donnerstag in Frankfurt am Main über den von der Gewerkschaft geforderten Sozialtarifvertrag verhandeln. »Wir erwarten ein verhandlungsfähiges Angebot«, so der erste Bevollmächtigte der Saarbrücker IG Metall, Hans Peter Kurtz.

Seit Mitte Juni befinden sich über 2200 Beschäftigte in Leipzig und Saarbrücken im unbefristeten Streik. Auslöser sind die Pläne, das Leipziger Werk bis Ende 2019 komplett zu schließen. Hier werden bisher Kurbelwellen, Zylinderköpfe und Kurbelgehäuse für Volkswagen produziert. Nach dem Aus säßen 750 Beschäftigte auf der Straße. Unsicher ist auch die Zukunft des Saarbrücker Stammwerks mit rund 1500 Beschäftigten.

Die allermeisten NHG-Belegschaften sind in der IG Metall organisiert und demonstrieren seit Wochen Stärke und Zusammenhalt. Sie fordern den Erhalt aller Arbeitsplätze. Bei einer Urabstimmung hatten sich in Leipzig über 98 Prozent und in Saarbrücken knapp 94 Prozent der befragten Gewerkschaftsmitglieder pro Erzwingungsstreik ausgesprochen. Offizielles Streikziel ist ein Sozialtarifvertrag zur Abfederung der Folgen eines Arbeitsplatzverlustes. Kernpunkte sind die Einrichtung einer Qualifizierungsgesellschaft und ein von der NHG zu finanzierender treuhänderischer Fonds, der den Beschäftigten etwa Abfindungen oder Zuschüsse für die Vermittlung in eine neue Stelle zahlen soll.

Der jüngsten Einladung von Unternehmenschef Barbaros Arslan zu einem »Runden Tisch« mit Akteuren der betroffenen Autokonzerne war die IG Metall nicht gefolgt. Sie bestand auf formellen Tarifverhandlungen. Arslans Vorstoß deutet darauf hin, dass der Arbeitskampf Wirkung zeigt. Nach jüngsten Meldungen wurde für das Eisenacher Opelwerk aufgrund von Lieferengpässen bereits der Beginn der Betriebsferien vorgezogen. Beim Landmaschinenhersteller Deutz-Fahr wird es nach Insiderangaben »demnächst kritisch«.

Nach über drei Wochen Arbeitskampf zeigen sich die Streikenden entschlossen. »Die Streikfront steht rund um die Uhr, im Werk läuft nichts«, bestätigte Kurtz auf nd-Anfrage. »Halberg Guss muss leben«, heißt es auf einem Transparent am Werk im Industrievorort Brebach. In der Saarbrücker City erregte am Mittwoch ein Autokorso der Streikenden mit 400 Pkw und 60 Motorrädern Aufsehen. Viele Passanten bekundeten ihre Solidarität. Am Donnerstag besuchten Gewerkschafter aus Automobilwerken in Kaiserslautern, Baunatal und Kassel die Streikenden in Saarbrücken. Der Saarbrücker Landtag hat sich einmütig für den Erhalt des Werks ausgesprochen. In Leipzig besuchte dieser Tage Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) die Streikenden. Wer es nicht persönlich nach Saarbrücken oder Leipzig schafft, kann eine Onlinepetition unterstützen.

NHG hat als Gießerei im Saarland eine jahrhundertelange Tradition. Das zu DDR-Zeiten errichtete Metallgusswerk im Leipziger Stadtteil Böhlitz-Ehrenberg übernahm Halberg 1993 von der damaligen Treuhandanstalt. Die Firma meldete 2009 in Folge der Weltwirtschaftskrise Insolvenz an. Es folgten mehrere Eigentümerwechsel und Lohnopfer der Belegschaft. Anfang 2018 wurde NHG von der Prevent-Gruppe übernommen, die der bosnischen Unternehmerfamilie Hastor gehört und seit den 1990er Jahren etliche Autozulieferbetriebe aufgekauft hat. Gewerkschafter bescheinigen Prevent ein klassisches »Heuschreckengebaren«. So habe der Konzern seit 2016 mit Lieferboykotts Großkunden wie VW massiv unter Druck gesetzt, um immense Preiserhöhungen durchzudrücken. Die hohen Gewinne würden dann von Prevent abgeschöpft. »Übrig bleiben Betriebe, die nicht mehr lebensfähig sind«, so die IG Metall.

Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) sprach bei einem Abstecher nach Leipzig vom »puren Raubtierkapitalismus« der Prevent-Gruppe. Seine scharfe Kritik hat einen Nährboden. Denn seit 2016 sind durch einen Lieferboykott und den erbitterten Konflikt mit VW um Lieferkonditionen zwei sächsische Prevent-Töchter ins Trudeln geraten: der Sitzehersteller Car Trim und der Getriebelieferant ES Guss. Hier sind insgesamt 1300 Arbeitsplätze gefährdet, nachdem VW offenbar andere Zulieferer gefunden hat. Solche Szenarien wollen die NHG-Beschäftigten rechtzeitig verhindern. »Wir werden alles daran setzen, um im Machtspiel zwischen zwei großen Playern nicht zerrieben zu werden«, so der Saarbrücker Betriebsratsvorsitzende Bernd Geier.

Längerfristig sehen Gewerkschafter und politische Akteure keine Zukunft unter dem Dach von Prevent. Saar-Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD) regte den Verkauf an einen anderen Investor an. »Wir sind gekommen, um zu bleiben«, erklärte hingegen Arslan.

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