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  • Willian Borges da Silva

Dieser Brasilianer rennt für zwei

Willian schwingt sich im Windschatten Neymars zur prägenden Figur der Seleçao auf

  • Frank Hellmann, Kasan
  • Lesedauer: 3 Min.

Mitunter ist es nur noch ein imaginäres Abklatschen, wenn ein Spieler in der ersten Minute der Nachspielzeit ausgewechselt wird. Weil jeder weiß, dass der Trainer Zeit von der Uhr nehmen will, wie es im modernen Fußball gerne heißt. Der betroffene Akteur gibt sich oft gar keine große Mühe mehr, die Ersatzspieler mit der ausgestreckten Hand zu erreichen, die noch auf den Sitzen lümmeln. Als jedoch am vergangenen Montag im Achtelfinale zwischen Brasilien und Mexiko (2:0) auf der Leuchttafel die Nummer 19 aufblinkte und dann Willian Borges da Silva, kurz Willian, vom Feld ging, war das auf der brasilianischen Ersatzbank anders: Fast jeder wollte ihm gratulieren. Abklatschen, herzen und umarmen.

Der Irrwisch hatte in einer überragenden zweiten Halbzeit so aufgedreht, als habe ihn jemand einen Zusatzbeschleuniger in der blauen Hose implementiert. Der 29-Jährige war auf dem Rasen herumgeflitzt, und die Vorarbeit zum wegweisenden 1:0 von Neymar war nur einer von vielen bemerkenswerten Vorstößen. Der Stürmer legte laut FIFA-Statistik im zweiten Durchgang 216 Meter im Vollsprint zurück - also in der Geschwindigkeitsstufe von mehr als 25 Stundenkilometern. Der Teamdurchschnitt seiner Mitspieler lag bei 217 Metern. In 90 Minuten.

Nationaltrainer Tite hat Willian mal »Foquetinho« getauft, die kleine Rakete. Die Initialzündung für den Rechtsaußen erfolgte nun zur rechten Zeit und am richtigen Ort - in Samara. Die Stadt am südöstlichen Wolgalauf war bis 1991 unter dem Namen Kuibyschew für Ausländer noch komplett versperrt. Hier wurde schließlich die Sojus-Rakete gebaut, mit der Juri Gagarin 1961 als erster Mensch ins Weltall flog. Ein Original solcher Raketen steht zentral an der Metrostation Rossijskaja.

Tite wurde nach Willians Gala gefragt, was er denn mit seinem bisweilen etwas untertourig laufenden Offensivstar vom FC Chelsea gemacht habe. Doch solche Fragen pflegt der Grandseigneur sofort an seinen Taktikexperten Sylvinho weiterzureichen, der in seiner Eigenschaft als Co-Trainer von einem Vier-Augen-Gespräch berichtete. »Es ging darum, wie wir besser hinter die letzte Linie des Gegners kommen. Uns war klar, dass gegen Mexiko unsere beiden Flügel funktionieren müssen.«

Willian hatte auf jeden Fall funktioniert. Die schwere Lebensphase nach dem Krebstod seiner Mutter am 11. Oktober 2016 - sie starb wenige Stunden, nachdem Willian in einem Länderspiel gegen Venezuela getroffen hatte - scheint endgültig ausgestanden. Dass er sich gegen Mexiko im Windschatten des nicht positionsgebundenen Neymar bewegte, war durchaus gewollt. Ähnlich wird auch die Marschroute an diesem Freitag fürs Viertelfinale gegen Belgien sein.

Willian begegnet dann in der Kasan-Arena seinem Londoner Klubkollegen Eden Hazard, der auf die »Roten Teufel« einen ähnlichen Einfluss nimmt. »Ich werde alles daran setzen, dieses Spiel zu gewinnen. Danach werden wir aber Freunde bleiben«, richtete Willian aus. »Hazard ist einer der Besten der Welt. Wir spielen seit fünf Jahren zusammen, jetzt aber erstmals gegeneinander.«

Gut möglich, dass die beiden Klubkameraden bald aber auch auf Vereinsebene zu Gegnern werden. Angeblich ist der FC Barcelona bereit, für Willian 56 Millionen Euro zu zahlen. Und auch sein Ex-Trainer Jose Mourinho soll mit Manchester United ein gesteigertes Interesse an einer Verpflichtung haben. Hält der Schub des Raketleins in Russland sogar noch bis zum Finale am übernächsten Sonntag in Moskau an, dürfte das den Preis in schwindelerregende Sphären treiben.

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