In Hauslatschen
Diese WM bedeutet Herumreisen: Zu meinen wichtigsten Utensilien gehören eine faltbare Reisetasche, das E-Book und meine Tapotschki: weiße Frotteelatschen, die ich für etwa zwei Euro bei einer Schaffnerin der Russischen Bahn gekauft habe. Tap, tap, tap, schlurft man in den Tapotschki zum Speisewagen und zurück, dank der Hausschuhe entsteht beinahe ein Zuhausegefühl bei nächtlichem Gependel zwischen Kasan, Moskau, St. Petersburg und Co, egal wie unterschiedlich die Mitreisenden sind. Drei Argentinier, die vor Abfahrt bis auf die Unterhose entkleidet sind und beim Losrollen in tiefen Schlaf fallen, obwohl es erst 19 Uhr ist. Der Fotograf einer Sportzeitung, der seit Wochen ununterbrochen in Nachtzügen schläft. Die Kunstmalerin auf der Heimreise vom Arzt. Meine Tapotschki fallen auf, sie sorgen für Neid oder Belustigung. Und in den Ferienwohnungen mache ich mich stets beim Vermieter beliebt, wenn ich meine Tapotschki aus der Reisetasche ziehe: Hier hasst man es, wenn in Straßenschuhen durch ihre Wohnungen gelatscht wird.
Bei meiner jüngsten Ankunft in Kasan erlebte ich eine Überraschung. Ein paar neue Tapotschki standen bei Ankunft schon bereit. Stark! Überhaupt war alles nagelneu in dem 22-geschossigen Wolkenkratzer. Designerbad, Edelküche, Nobeldusche- und das alles für unter 50 Euro? Nach einer Fahrt mit dem nur mit Rigips verkleideten Fahrstuhl und dem Krach am nächsten Morgen war mir klar: Das Haus ist noch ’ne Baustelle. Ich hatte die 22 Stockwerke für mich allein. Ein bisschen gruselig, aber ich wurde gut entschädigt: Der 30-Meter-Pool auf dem Dach des Parkdecks war schon schon in Betrieb. In meinen Hauslatschen tappte ich jeden Morgen nach unten und zog einsam meine Bahnen.
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