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Die Stadt der verlorenen Träume
Erstmals stehen weder Brasilien, noch Argentinien oder Deutschland im Halbfinale. Allesamt schieden in Kasan aus
Wahre Größe zeigt sich oft in der Niederlage: Als am Freitagabend feststand, dass auch Brasilien dieses Turnier nach einer 1:2-Niederlage gegen unerbittliche Belgier verlassen würde, war es dem Trainer der Selecao wichtig, die trauernden Reporter aus seiner Heimat ein wenig einzufangen: »Im Fußball gibt es ein paar Zufälle«, erwiderte Tite nach dem Spiel auf die Frage, ob mit Belgien nicht einfach nur die glücklichere Mannschaft weitergekommen sei. »Es verbietet sich aber, hier von Glück zu sprechen. Kevin De Bruyne war fantastisch, und Torwart Thibaut Courtois hat hervorragend gearbeitet. Sie waren effektiv, na und? Soll ich hergehen und das als Glück bezeichnen?«
Scheinbar wird Tites Gelassenheit auch in Brasilien geteilt - anders als bei Turnieren zuvor wird das Scheitern von Neymar und Co. dort nicht als nationale Katastrophe betrachtet, sondern ganz simpel als das Ausscheiden einer Fußballmannschaft aus einem wichtigen Turnier. Und so will der brasilianische Verband CBF aller Voraussicht nach mit Tite weiterarbeiten, auch die Spieler haben ihm ihr Vertrauen ausgesprochen.
Tatsächlich können die Rekordweltmeister ja noch froh sein. Sie haben es anders als die anderen Großen wenigstens bis ins Viertelfinale geschafft. In Kasan sind zuvor schon ganz andere gescheitert. Zuerst die deutsche Elf, die sich dort mit dem lahmen 0:2 gegen Südkorea aus dem Turnier verabschiedete. Im nächsten Match in der Kasan-Arena flog dann auch noch Vizeweltmeister Argentinien durch ein 3:4 im Achtelfinale gegen Frankreich raus, ehe sich am Freitag also Brasilien mit der Viertelfinalniederlage in die k.o.-Reihe von Kasan einordnete. Unter den vier Halbfinalisten sind England (1966) und Frankreich (1998) die letzten verbliebenen Weltmeister.
Das Aus der Brasilianer bescherte ein Novum: Erstmals sind bei der 21. Auflage der WM weder Brasilien noch Deutschland oder Argentinien im Halbfinale vertreten. Diese drei Nationen gewannen elf der bislang 20 vergebenen Titel: Brasilien (fünf), Titelverteidiger Deutschland (vier) und Argentinien (zwei). Zudem ergibt sich mit Frankreich-Belgien (Dienstag) und England-Kroatien (Mittwoch) die fünfte rein europäische Halbfinalrunde der WM-Historie - eine Konstellation, die es zuvor nur 1934, 1966, 1982 und 2006 gegeben hatte. Damit steht auch fest, dass der Weltmeister zum vierten Mal in Folge eine europäische Mannschaft sein wird.
Umso schwerer wird es allerdings abzuschätzen, wer denn nun die besten Aussichten auf den Titelgewinn hat. Die Franzosen begeisterten gegen Uruguay mit spielerischer Klasse, wobei sie locker kompensieren konnten, dass ihr Sturmtalent Kylian Mbappé von Uruguays Innenverteidigern ziemlich gut unter Kontrolle gehalten wurde. Womöglich wird nicht Mbappé der Superstar dieser WM, sondern Eden Hazard. Belgiens Nummer 10 war der Spieler, der den Unterschied gegen Brasilien ausmachte. Kein Dribbling ging verloren, jeder Pass des beidfüßigen Angreifers kam an und auch in der Defensive machte der 27-Jährige vom FC Chelsea keine Fehler - besser gehts nicht.
Eine ernsthafte Konkurrenz für Hazard in Sachen »Ballon d’or« (Goldener Ball) bei dieser WM wäre womöglich Englands Kapitän Harry Kane sein, auch wenn dessen Spiel viel weniger spektakulär ist als das von Hazard. Wenn der Mann von Tottenham Hotspur sich dem gegnerischen Strafraum nähert, passiert stets etwas Gefährliches, wie nicht zuletzt seine sechs WM-Treffer beweisen. Und wenn Kane mal nicht den Abschluss sucht, verteilt er die Bälle klug. Er spielt schnörkellos, ist dabei aber nie ausrechenbar. Auch beim 2:0 gegen Schweden war er derjenige, der bei den Engländern den Takt angab. »Hurricane« nennen sie ihn England schon seit einiger Zeit. Nachdem die »Three Lions« dem WM-Titel so nahe sind wie seit 28 Jahren nicht mehr, hat ihn die Boulevardpresse nun sogar zu »Prinz Harry« erhoben.
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