Land der Könige, Kolonialisten und glücklichen Bauern

Abseits! Die Feuilleton-WM-Kolumne

  • Jacinta Nandi
  • Lesedauer: 3 Min.

Ich meine, ich bin nicht dumm, ich bin nicht sehr dumm, ich bin auch nicht superintelligent - ich würde sagen, dass ich ziemlich durchschnittlich bin. Ab und zu habe ich dann aber brillante Gedanken. Ich will nicht angeben, aber meistens bin ich durchschnittlich intelligent. Und ich weiß natürlich, ein Teil von mir weiß ganz genau, dass es faschistisch ist, für England zu sein. England! England! England!

Sogar ohne Brexit, ohne den Kolonialismus, ist das ganze Konzept dieses Landes das Konzept von Königen und Unterdrückung. Bevor es England gab, gab es glückliche britische Ureinwohner, und sie lebten auf dem Land. Ich glaube, sie waren Bauern und sie waren verbunden mit der Erde. Abgesehen von der Zeit, in der die Römer das Gebiet besetzt haben. Und dann kamen die Könige mit Macht, sie haben das Land geklaut und es England genannt.

Nationalstolz ist immer falsch, aber wenn man auf England stolz ist, ist es doppelt so falsch, als wenn man auf ein normales Land stolz wäre wie - wie Belgien zum Beispiel. Was ist England? Wofür steht das Land? Ist es der Kolonialismus, für den wir uns nie entschuldigt haben, weil ich glaube, wenn wir uns dafür entschuldigen, könnten die anderen Länder uns verklagen, und das wird teuer? Ist es der Brexit? Jetzt muss ich Deutsche werden, denn die Arschlöcher zu Hause haben mir die Staatsbürgerschaft weggenommen. Und anstatt sich dafür zu schämen, sind sie noch stolzer als je zuvor auf das Kackland. Oh, guck mal, schöner Rasen, schöne Schlösser, schöne Landschaften. Lass uns einen Agatha-Christie-Roman lesen und Gin trinken, aber währenddessen brennen wir polnische Supermärkte nieder und beleidigen Menschen aus Griechenland.

Es gibt eine Überlegenheit bei den Engländern, die man sich in Deutschland nicht vorstellen kann, und es ist zum Kotzen! Aber es gibt auch einen Teil von mir, der sagt: Hey, weißt du was, dieser Fußballhass ist nur Klassenfeindlichkeit. Die Leute, die Cricket gucken, sind genauso hasserfüllt und nationalistisch, sie sind nur auf Privatschulen gegangen. Man darf Faschismus nicht nur dann verurteilen, wenn er von der Unterschicht kommt, oder?!

Und dann gibt es einen anderen Teil von mir, der es einfach nicht glauben kann: WIR SIND IM HALBFINALE! Haben Sie je geglaubt, dass das passiert? Ich habe es einfach nie geglaubt. Ich meine, ich habe schon darüber nachgedacht, mir ausgemalt, wie es sich anfühlen würde, wenn so was passiert. Aber ich konnte das nicht ahnen! Wissen Sie was, es ist ein bisschen so, als ob ich für den Booker-Prize nominiert worden wäre. So überraschend, dass ich kaum atmen kann, aber gleichzeitig fühlt es sich richtig gut an, als ob ich immer gewusst hätte, dass ich es verdient hätte.

Wissen Sie, seit wir Kolumbien geschlagen haben, träume ich ständig, dass ich Gareth Southgate bin, nicht als Trainer, sondern als Fußballspieler. Gareth Southgate, the whole of England is with you now! Und dann trete ich den Ball mit meinem Fuß und mein ganzer Körper zittert und ich schmeiße mich raus aus dem Körper und lande wieder in meinem Bett und wache auf und alles war ein Traum. So fühle ich mich einfach.

»Das ist alles sehr interessant, junge Dame, aber ich verstehe nicht, was das mit mir zu tun hat?«

»Oh, ich muss mein Ticket umbuchen, sodass ich zum Halbfinale rechtzeitig wieder in Berlin bin.«

»Es gibt eine 19-Euro-Umbuchungsgebühr, das wissen Sie, oder?!«

»Ja!«

»Und Kroatien schmeißt euch sowieso raus.«

»Ja. Ein Teil von mir weiß das auch, eigentlich.«

Alle Kolumnen unter: dasND.de/abseits

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -