»Ein Desaster für die Linke«

SYRIZA-Politiker Giorgos Chondros über den Austritt der Parti de Gauche aus der Europäischen Linkspartei

  • Alexander Isele
  • Lesedauer: 7 Min.

Die Parti de Gauche wirft SYRIZA und Alexis Tsipras vor, Verrat begangen zu haben. Sie hat deswegen die europäische Linkspartei verlassen. Wie wird in Griechenland auf diesen Vorwurf reagiert?

Für SYRIZA und auch für die Regierung ist es wirklich sehr unverständlich, dass wir von einer Partei, die sich als links bezeichnet, dieselbe Kritik und unkritische Stellungsnahme bekommen wie von den ganz konservativen Eliten Griechenlands und Europas. Links bedeutet solidarisch, das vermissen wir gerade von der Parti de Gauche, aber auch von anderen linken Parteien, die lieber ihren einfachen sektiererischen Weg vorziehen. Und das in einem Moment, der für die griechische Bevölkerung, für Griechenland insgesamt und auch für die Regierung SYRIZAs sehr wichtig ist. Ich würde fast sagen, es ist ein historischer Moment, weil wir ab kommendem August das Land und die Bevölkerung von dieser harten Austeritätspolitik der Memoranden der letzten acht Jahre befreien. In diesem Moment, in dem europaweit der totale Rechtsruck droht, ist für die Linke mehr Solidarität und Zusammenarbeit angesagt.

Giorgos Chondros

Giorgos Chondros, Jahrgang 1958, ist Ethnologe und Umweltpolitiker. Das Gründungsmitglied von SYRIZA gilt im deutschsprachigen Raum als Stimme der griechischen Regierungspartei. Über den Austritt der Parti de Gauche aus der Europäischen Linkspartei, die mit der Politik SYRIZAs begründet wurde, sprach mit ihm Alexander Isele.

Foto: nd/Ulli Winkler

Die Vorwürfe der Parti de Gauche sind ja sehr konkret: Durchsetzung der Austeritätspolitik, Rentenkürzungen, Einschränkung des Streikrechts, Privatisierungen. Was entgegnen Sie inhaltlich?

Da muss man sich zuerst noch einmal die Situation 2015 vor Augen führen: Vergangenen Donnerstag war der dritte Jahrestag der historischen Volksabstimmung in Griechenland gegen die damaligen Pläne der Troika, ein neues Spardiktat für Griechenland durchzubringen. Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung, damals 62 Prozent, haben mit Nein gestimmt. Auf diesen historischen Moment ist jeder von uns, aber sind wir auch als Partei sehr stolz. Danach haben die Verhandlungen stattgefunden, und aufgrund eines total ungünstigen Kräfteverhältnisses in Europa und fehlender Solidarität wurde die SYRIZA-Regierung unter der Androhung eines ungeordneten Rauswurfs aus dem Euro-Raum zu einer Politik gezwungen, ein neues Memorandum zu unterschreiben. Wir wurden damals aufgrund der Verhältnisse in Europa besiegt. Aber gleich danach, im September 2015, haben wir neu wählen lassen, und die griechische Bevölkerung hat noch einmal SYRIZA die Aufgabe anvertraut, das Land aus der Krise zu führen. Um auch konkret zu antworten …

Fangen wir mit der Einschränkung des Streikrechts an.

Das ist ganz einfach nicht richtig, das ist eine Lüge. Die Forderung der Troika war damals, die gesamten Arbeitsrechte zu revidieren. Das Einzige, was geändert wurde, ist: Damit eine Betriebsversammlung beschlussfähig ist, müssen zwei Drittel der Mitglieder anwesend sein. Wenn eine Versammlung beschlussfähig ist, kann sie mit einer einfachen Mehrheit einen Streik beschließen. Dabei geht es nicht um flächendeckende Streiks, oder Branchenstreiks, sondern lediglich um Streiks in einem einzigen Betrieb. Meines Wissens ist die Gesetzeslage in Frankreich und Deutschland viel ungünstiger für Gewerkschaften. Trotzdem: Über diese Maßnahme hat sich weder SYRIZA noch die Regierung »gefreut«.

Wie sieht es bei den Privatisierungen aus?

Bis jetzt sind nur Privatisierungen durchgeführt worden, die vom Memorandum I und II beschlossen wurden. Das heißt, es sind Privatisierungen durchgeführt worden, die schon unterschrieben waren. Das sagt natürlich nichts darüber aus, ob man sie zurücknehmen könnte. Aber das muss unter den bestehenden Kräfteverhältnissen in Europa gesehen werden. Eine linke Bewegung, Partei oder linke Regierung, agiert immer in den bestehenden Verhältnissen und versucht, sie zugunsten der Mehrheit der Bevölkerung zu ändern. Die griechische Regierung hat bei den Verhandlungen im Juli 2015 erreicht, dass das gesamte öffentliche Vermögen von der »Treuhandschaft« TAIPED zurückgenommen und einem »Superfonds« übergeben wird, mit dem Mandat der Nutzung und ohne die obligatorischen Privatisierungen, wie es das Mandat der TAIPED war.

Und bei den Rentenkürzungen?

Es wurde bei der zweiten Überprüfung des dritten Programms beschlossen, dass, wenn bestimmte fiskalische Ziele 2019 nicht erreicht werden, die Renten gekürzt werden. Das wäre die erste Rentenkürzung von SYRIZA. Wir wissen aber, und das wurde gerade in den letzten Tagen beschlossen, als die Euro-Gruppe den Ausstieg Griechenlands aus den Programmen beschlossen hat, dass diese Rentenkürzung noch mal diskutiert wird, wenn wir bestimmte Ziele erreichen. Und wir wissen bereits jetzt, dass wir sie erreichen. Insofern stimmt das auch nicht. Diese Maßnahme sowie die Herabsetzung des Steuerfreibetrages wird von der Regierung einseitig zurückgenommen.

Am schwerwiegendsten ist der Vorwurf, SYRIZA sei Synonym für Austeritätspolitik.

Es muss die Frage gestellt werden: Was wäre die Alternative? Ich weiß, dass Parteien wie die Parti de Gauche, manche kleine linke Partei hier, aber auch ein Teil der Partei DIE LINKE in Deutschland der Auffassung waren, Griechenland hätte damals aus der Euro-Zone rausgehen sollen. Wir sind immer noch der Meinung, das wäre der griechischen Bevölkerung gegenüber unverantwortlich gewesen. Auch wenn man zu einer eigenen Währung zurückgeht, heißt das noch lange nicht, dass die Schuldenfrage gelöst ist - ganz im Gegenteil, die Euro-Staatsschulden müssten dann mit einer abgewerteten Währung zurückgezahlt werden, das heißt, die realen Staatsschulden würden steigen. Dazu kommt: 2015 hatte die SYRIZA-Regierung absolut keine Druckmittel gegen die EU-Institutionen und gegen den IWF, weil ab 2012 die griechischen Staatsschulden vergesellschaftet wurden. Das war der Plan von Schäuble. Da müssen sich manche Linke mehr Gedanken machen.

Im Jahr 2032 wollen die Gläubiger das nächste Mal über Schuldenerleichterungen für Griechenland sprechen. Wie sieht die Schuldensituation heute aus?

Die Ziele, die vom Memorandum mit dem dritten Kredit beschlossen wurden, sind übertroffen worden. Griechenland hat ein kleines Wachstum. Allerdings kommt dieses wirtschaftliche Wachstum noch nicht der griechischen Bevölkerung zugute. Das ist nun die große Aufgabe der griechischen Regierung. Deswegen ist es so wichtig, dass sich Griechenland ab August wieder am freien Kapitalmarkt refinanzieren kann - ohne Auflagen, ohne Maßnahmen, ohne Einschränkungen.

Was bedeutet das?

Dass die griechische Regierung ab August mehr Spielraum hat, eine eigene Politik umzusetzen. Bisher hatte sie das kaum. Als wir 2010 in die Programme einstiegen, hatten wir Staatsschulden in Höhe von ungefähr 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - heute sind es fast 180 Prozent. Die Arbeitslosigkeit ist auf 28 Prozent gestiegen. Aufgrund dieser Programme ist das Bruttoinlandsprodukt um ein Viertel zurückgegangen. Jetzt gibt es wieder Licht am Ende des Tunnels. Der Memorandenausstieg bedeutet noch lange nicht das Ende der Krise. Im Gegenteil, jetzt müssen wir beginnen, das Land umzustrukturieren, das Land wieder aufzubauen, dem Volk wieder eine Hoffnung geben. Und: Wir müssen jetzt eine europäische Diskussion beginnen, nicht nur unter den Linken, sondern insgesamt unter den progressiven Kräften, welche Alternative wir in diesen für Europa schwarzen Zeiten anbieten.

Wie könnte die aussehen?

Wie müssen wieder die soziale Frage in den Mittelpunkt der Diskussion stellen, genau wie wir europäische Fragen vertiefen müssen. Da braucht es Gemeinsamkeit. Insofern ist mir vollkommen unverständlich, warum die Parti de Gauche jetzt aus der Europäischen Linken rausgeht, sie mit anderen kleinen oder größeren linken Parteien und Bewegungen in Europa einen anderen Pol aufzubauen versucht.

Was bedeutet das für die anstehende Europawahl?

Das bedeutet ein Desaster für die Linke. Ich habe das Gefühl, dass auch manche linken Kräfte wie die Parti de Gauche genau in derselben Richtung denken wie Parteien in manchen europäischen Ländern, die das Überleben der eigenen Partei über das gemeinsame Interesse der Bevölkerung, aber auch über das gemeinsame Interesse der Linken stellen. Was bedeutet es für eine linke Kraft, wenn sie den Weg zurück zur nationalen Eingrenzung, zur eigenen Grenze wählt, das Nationale in den Vordergrund stellt und nicht den gemeinsamen europäischen Raum? Sie treffen die konservativen oder populistischen Kräfte Europas, die für genau dasselbe plädieren. Das wäre ein großer strategischer und politischer Fehler, gerade in einer Zeit, wo die rechten Kräfte im Aufwind sind.

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