Ins Krankenhaus auch ohne Überweisung

Urteile im Überblick

  • Lesedauer: 3 Min.

Das geht aus einem Urteil des Bundessozialgericht (BSG) in Kassel vom 19. Juni 2018 (Az. B 1 KR 26/17 R) hervor.

Im Streitfall hatte sich ein Patient für eine teilstationäre psychiatrische Behandlung in ein Krankenhaus bei Hannover begeben. Dieses ist zur Behandlung gesetzlich Versicherter zugelassen. Der Patient hatte allerdings keine Überweisung eines niedergelassenen Arztes. Für die mehrwöchige Behandlung stellte die Klinik 5600 Euro in Rechnung. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) bestätigte, dass die Behandlung medizinisch notwendig, wirtschaftlich und auch erfolgreich war.

Dennoch wollte die AOK Niedersachsen die Rechnung nicht bezahlen. Sie stützte sich dabei auf den zwischen Krankenhaus- und Kassenverbänden geschlossenen Landessicherstellungsvertrag. Danach gilt - von Notfällen abgesehen - eine Krankenhausbehandlung nur als »notwendig«, wenn sie von einem niedergelassenen Vertragsarzt verordnet wurde. Vergleichbare Regelungen bestehen auch in den anderen Ländern. Die Kassen wollen damit verhindern, dass die vergleichsweise teuren Krankenhäuser von Patienten überlaufen werden.

Doch diese Vertragsregelungen sind unwirksam, weil sie gegen das Gesetz verstoßen, urteilte nun das BSG. Voraussetzung für einen Vergütungsanspruch sei, dass das Krankenhaus zur Behandlung gesetzlich Versicherter zugelassen und die Behandlung »erforderlich und wirtschaftlich« sei. Ein Vergütungsanspruch bestehe dann unmittelbar »kraft Gesetzes«.

Eine Verordnung sei dagegen nicht Voraussetzung für die Behandlung. Dies würde die Krankenhäuser auch »unzumutbaren Haftungsrisiken« aussetzen, betonten die Richter des BSG. »Sie dürfen Versicherte, die sich ohne vertragsärztliche Einweisung mit einer Akutsymptomatik vorstellen, nicht einfach ohne Untersuchung wegschicken.«

Das Urteil bedeutet allerdings nicht, dass gesetzlich Versicherte nun mit allen Beschwerden gleich in ein Krankenhaus gehen können. Denn die Krankenhäuser dürfen Patienten weiterhin nicht behandeln, wenn dies ebenso auch durch einen niedergelassenen Arzt möglich wäre. AFP/nd

Müssen Kassenärzte zwangszugewiesene Patienten behandeln?

Bislang hatten Patienten in Thüringen zwei Möglichkeiten, mit Hilfe der Kassenärztlichen Vereinigung (KVT) zu einem Arzttermin zu kommen. Eine davon ist nun für unzulässig erklärt worden.

Das Thüringer Landessozialgericht (LSG) in Erfurt entschied am 6. Juni 2018, dass die KVT Ärzten keine Patienten mehr zwangsweise zuweisen darf. Für eine solche Praxis gebe es keine Rechtsgrundlage, so das Gericht. Patienten, die sich selbst erfolglos um einen Termin bei einem niedergelassenen Arzt bemüht haben, dürften nur noch über die sogenannte Terminservicestelle an die Mediziner vermittelt werden.

Bislang hat die KVT Patienten sowohl über diese Servicestelle als auch per Zwangszuweisung zu Ärzten geschickt, wenn sie anderweitig keinen Termin bekamen. Für Termine über die Servicestelle müssen die niedergelassenen Mediziner nach Angaben der Vereinigung bestimmte Zeiträume in ihren Sprechzeiten freihalten. Für beispielsweise Augenärzte oder Neurologen übersteigt die Nachfrage aber oft die Zahl der über die Servicestelle zu vermittelnden Termine. Zudem würden sich manche Patienten nicht über die Servicestellen, sondern anderweitig an die KVT wenden. Deshalb hat die Vereinigung Ärzte in manchen Fällen per Bescheid dazu verpflichtet, einzelne Patienten zu behandeln. Diese Praxis untersagten die Landessozialrichter nun.

Hintergrund ist die Klage eines Augenarztes aus Ostthüringen. Er hatte sich dagegen gewehrt, dass die KVT ihm 2014 neun Patienten zwangszugewiesen hatte - verbunden mit der Aufforderung, nicht er, sondern eine bei ihm angestellte Ärztin solle die Männer und Frauen behandeln. Dagegen klagte der Arzt vor dem Sozialgericht Gotha, das ihm Recht gab. Die KVT ging in Berufung und verlor nun vorm LSG.

Das LSG bewertete vor allem kritisch, dass die KVT der angestellten Ärztin Vorgaben gemacht habe. Hierfür sei keine Rechtsgrundlage zu erkennen. In dem Urteil erklärte das Gericht überraschend nicht nur die Weisungsbefugnis der KVT gegenüber angestellten Ärzten in niedergelassenen Praxen für unzulässig, sondern kippten das komplette System der Zwangszuweisungen gleich mit.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es kann dagegen noch eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundessozialgericht eingelegt werden. dpa/nd

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.