Diesmal war es kein Underdog

Sebastian Bähr über Polizeigewalt

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 2 Min.

Ein jüdischer Professor aus den USA ist bei seinem Deutschlandbesuch gleich zweimal Opfer geworden: Erst durch den Angriff eines Antisemiten, dann aufgrund einer Verwechslung durch Polizeiprügel. Der Vorwurf des Forschers: Die Beamten hätten ihn mit Einschüchterungen von einer Beschwerde abbringen wollen und später bei der Darstellung des Übergriffs gelogen. Zwei gravierende Missstände der deutschen Gesellschaft verdichten sich in der Episode: Das Land hat ein Problem mit Antisemitismus; das Land hat ein Problem mit Polizeigewalt. Und über Letztere wird in diesem Fall nur umfassend berichtet, weil das Opfer ein Professor ist - der selbst kluge Worte dafür findet: »Wäre ich ein Underdog der deutschen Gesellschaft, würde sich niemand dafür interessieren.«

Der G20-Spruch von Olaf Scholz, »Polizeigewalt hat es nicht gegeben«, ist bei Behörden Leitprinzip. Arme Menschen, Migranten, Geflüchtete, Demonstranten, Fußballfans oder Pechvögel, die zur falschen Zeit am falschen Ort sind, erleben sie trotzdem Tag für Tag. Nur rund drei Prozent ihrer Anzeigen werden zur Anklage gebracht, die Anzahl der Verurteilungen ist noch geringer.

Schon seit Jahren fordern Bürgerrechtler unabhängige Ermittlungsbehörden für Polizeigewalt, eine konsequente Kennzeichnungspflicht und eine selbstkritische Fehlerkultur der Behörden. Stattdessen: Verschärfte Polizeigesetze, die die Gefahr von Machtmissbrauch weiter steigern. So verschreckt man nicht nur ausländische Professoren, so gefährdet man den sozialen Frieden.

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