»Hört auf uns zu töten«
In Kenjas Hauptstadt Nairobi sind außergerichtliche Tötungen durch Polizisten Normalität / Aktivisten fordern die Regierung auf zu intervenieren
»Wir haben angefangen für jedes Opfer, das hier von Polizisten getötet wird, einen Baum zu pflanzen«, sagt Kennedy Chindi und deutet auf einen Streifen Erde mit frischen Setzlingen. »Einige mehr sind im Tal weiter untern, aber es fehlen noch viele, viele Bäume«, fährt der Aktivist fort. Chindi arbeitet ehrenamtlich beim Mathare Social Justice Centre (MSJC). 2015 gründete er mit gleichgesinnten die kleine Graswurzelorganisation in Mathare, einer der vielen urbanen Siedlungen in Kenias Hauptstadt Nairobi. Die Mitglieder, überwiegend Anwohner, setzen sich gegen Landraub ein oder kämpfen für eine angemessene Wasserversorgung in der Siedlung. Außerdem dokumentieren sie Fälle von außergerichtlichen Tötungen und haben sich damit eine zentrale Vermittlerposition erarbeitet: zwischen der Gemeinschaft in Mathare und den Behörden auf der einen sowie Nichtregierungsorganisationen auf der anderen Seite der Stadt.
Dennoch hat sich nicht viel geändert. Fast jede Woche wird ein junger Mann von einem Polizisten erschossen, sagt Chindi. In einem Bericht hat die Organisation in Kooperation mit Wissenschaftlern 50 recherchierte Fälle von außergerichtlichen Tötungen in Mathare zwischen 2013 und 2016 veröffentlicht. Der Bericht fand, dass die Opfer durchschnittlich Männer im Alter von 20 Jahren sind, manche sind gerade einmal 13 Jahre alt. Meist werden die Opfer aus kurzer Entfernung oder von hinten erschossen. In vielen Fällen wird im Nachhinein eine Waffe platziert, bestätigen Zeugenaussagen, um die Opfer als kriminelle darzustellen.
Viele der berüchtigten Polizisten sind den Aktivisten bekannt. Sie haben Hunderte Jugendliche auf dem Gewissen und werden zwischen den Siedlungen rotierend eingesetzt.
Während der Wahlen zum Parlament und Präsidenten im August 2017 und der Wiederholung im Oktober dokumentierten die Aktivisten des MSJC 19 Fälle von außergerichtlichen Tötungen in ihrer Gegend. Bei sechs dieser Fälle identifizierten sie den Polizisten Ahmed Rashid als Täter, sagt Chindi. Rashid hat über die informellen Siedlungen hinaus für Bekanntheit gesorgt als im März 2017 ein Video von ihm Kenias soziale und dann auch nationale Medien erschüttert. Darin ist zu sehen, wie er vor einer Menschenansammlung zwei junge Männer, die bereits am Boden liegen, nach einigen Minuten per Kopfschuss tötet.
Auch Sara Wangaris Sohn, der 20 jährige Alex Mwangi, wurde von Rashid ermordet, sagt sie. Er war auf dem Weg nach Hause als er am 20. November 2017 mit 20 Kugeln übersät wurde. Als sie damals vom Leichenschauhaus zur Polizei geht, um den Fall zu berichten, erklären Polizisten ihr, dass ihr Sohn kriminell war, deshalb könne keine Anzeige erstattet werden. Sie wendete sich an Chindi vom MSJC. »Ich möchte Gerechtigkeit. Ich möchte, dass der Fall vor Gericht geht«, sagt sie.
Dieser, wie viele andere Fälle hat es bis dato nicht zum Gerichtssaal geschafft und Rashid, wie viele andere Polizisten, töten in den Ghettos weiter. Nur zwei der über 800 Fälle von außergerichtlichen Tötungen in Nairobi zwischen 2013 und 2017, die MSJC und andere Grassrootsorganisationen an die Unabhängige Polizeiaufsichtsbehörde weitergeleitet haben, sind vor einem Richter gelandet.
Anfang Juli haben Aktivisten, Angehörige der Opfer und Anwohner zu einem Protestmarsch aufgerufen. In fünf informellen Siedlungen liefen Züge von Demonstranten los, die sich schließlich nahe des Stadtzentrums trafen. »Hört auf uns zu töten«, stand auf ihren Plakaten. Einige Politiker und der frühere oberste Richter haben sich dem Protest angeschlossen. In einer Petition, die sie an den Präsidenten richten, fordern die Aktivisten, dass Fälle von außergerichtlichen Tötungen ermittelt und Täter strafrechtlich belangt werden. Außerdem soll die Regierung der UN-Sonderberichterstatterin für außergerichtliche Hinrichtungen Agnes Callamard einen Besuch ermöglichen.
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