»Heuschrecken« auf Beutejagd

ThyssenKrupp droht die Zerschlagung: Die Triebkräfte dahinter sind vor allem zwei Finanzinvestoren, meint Heinz-J. Bontrup

  • Heinz-J. Bontrup
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Schlagzeilen überschlagen sich. An Rhein und Ruhr herrscht Krisenstimmung. Die Landes- und Bundesregierung sind alarmiert. Es geht um über 100 Jahre Industriegeschichte, es geht um den Konzern ThyssenKrupp, der in 79 Ländern an über 2000 Standorten aktiv ist und im Geschäftsjahr 2016/2017 einen Umsatz von rund 43 Milliarden Euro mit 158 000 Beschäftigten erzielt hat. Der ursprüngliche Montan-Konzern gliedert sich heute modern in fünf »Business Areas«: Components Technology, Elevator Technologie, Industrial Solutions, Material Services und Steel Europe.

Die Stahlsparte (Steel Europe) wurde gerade mit viel zeitlichem Aufwand und Ärger mit dem indischen Konkurrenten Tata Steel fusioniert und der Firmensitz in die Region Amsterdam verlegt, womit eine Stahlära im Ruhrgebiet zu Ende geht. Die Mitbestimmungsseite hat versucht, die ungeliebte Fusion zu verhindern. Am Ende steht aber lediglich eine achtjährige Arbeitsplatzgarantie.

»Es ist ein historischer Schritt«, sagte der kurz nach dem Fusionsabschluss überraschend zurückgetretene Konzernchef Heinrich Hiesinger, der sieben Jahre an der Spitze von Thyssen-Krupp stand und ein marodes Erbe übernommen hatte. Er muss offensichtlich geahnt haben, was nach der Stahlfusion im Rest- und Mischkonzern Thyssen-Krupp auf ihn zukommt - nämlich die jetzt mögliche Zerschlagung. Zynisch könnte man fast sagen, da hat die Stahlsparte ja geradezu »Glück« gehabt, dass sie sich noch rechtzeitig aus dem Konzernverbund abgesetzt hat.

Wie groß die seit langem bei ThyssenKrupp schwelende Krise unter anderem wegen gigantischer Fehlinvestitionen, Kartellstrafen sowie Kapital- und Beschäftigungsverlusten mittlerweile ist, zeigt der jetzt noch zusätzliche Abgang des Aufsichtsratsvorsitzenden Ulrich Lehner zum Monatsende. Lehner und Hiesinger begründen ihre Flucht mit einer nur mangelhaften Unterstützung der beiden Großaktionäre, dem schwedischen Finanzinvestor Cevian Capital und dem US-Hedgefonds Elliot. Ein abgestimmtes Verständnis über die weitere strategische Ausrichtung des Restkonzerns sei nicht mehr möglich gewesen.

Die Finanzinvestoren, die das Geld ihrer vermögenden Anleger verwerten, wollen Kasse machen. Und das muss, wie bei allen »Heuschrecken« (Franz Müntefering, SPD), schnell gehen. Amortisationszeiten von unter drei Jahren sind hier keine Seltenheit. Man steigt in kriselnde oder auch an Börsen unterbewertete Unternehmen ein, um sie zu filettieren, das heißt die »guten« Unternehmensteile zu verwerten und die »schlechten« abzustoßen. Dies geschieht zumeist durch eine Zerschlagung. Oder man treibt den unterbewerteten Börsenkurs nach oben und verkauft dann wieder seine Anteile mit Profit. Im Fall ThyssenKrupp geht es offensichtlich um Zerschlagung. Jedenfalls sollen die Fonds immer mehr auf einen »Umbau« des Konzerns drängen.

Dafür spricht die schon seit längerem anhaltende schlechte wirtschaftliche Performance. Die Aktie ist mit etwa 23 Euro auf einem niedrigen Niveau, die Marktkapitalisierung der 622,5 Millionen Aktien liegt bei nur gut 14,3 Milliarden Euro. Trotz eines kumulierten Verlustes von gut 1,2 Milliarden Euro in den Jahren 2013 bis 2017 kam es aber im gleichen Zeitraum zu unverantwortlichen Dividendenausschüttungen an die Shareholder von jahresdurchschnittlich 65,1 Millionen Euro. Die durchschnittliche Eigenkapitalrendite war von 2013 bis 2017 - wegen des Verlustes - mit 9,2 Prozent stark negativ. Erschreckend niedrig ist auch die Eigenkapitalquote mit nur 9,7 Prozent. Das kurzfristige Fremdkapital, bezogen aufs Gesamtkapital, kommt auf eine ebenso besorgniserregende Quote von fast 49 Prozent, und das Finanzergebnis ist tief defizitär. Solche schlechten wirtschaftlichen Daten locken am Ende womöglich noch weitere »Heuschrecken« an, um sich die Filetstücke aus einem »kranken Patienten« ThyssenKrupp herauszuschneiden und damit am Ende den Konzern zu zerschlagen.

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