- Wirtschaft und Umwelt
- Streik bei Halberg Guss
Dann bleibt der Ofen eben kalt
Die Belegschaft der Leipziger »Neue Halberg Guss« führt einen der härtesten Arbeitskämpfe der letzten Jahre
Das Schild am Rand der viel befahrenen Ausfallstraße in Leipzigs Westen wirkt unauffällig. Es erinnert an Aufsteller, die vor Bäckereien auf Angebote des Tages hinweisen: Sesamkringel oder Ochsenaugen. Bei der »Neue Halberg Guss«, die in grauen Hallen und einem himmelblauen Bürogebäude zwischen dem Saale-Leipzig-Kanal und dem Kleingartenverein »Kaninchenfarm« ihren Sitz hat, wird das »Angebot« an diesem Montag seit exakt 40 Tagen unverändert geblieben sein: »Dieser Betrieb«, informiert der Aufsteller, »wird bestreikt«.
Was in dem kurzen Satz so lapidar mitgeteilt wird, ist tatsächlich ein Ereignis, das Aufsehen erregen müsste wie ein mittelschweres Erdbeben in der Leipziger Tieflandsbucht. Die gut 600 Arbeiter der Gießerei führen einen Arbeitskampf, wie es ihn in Ostdeutschland lange nicht gegeben hat. Als sie sich Mitte Juni bei einer Urabstimmung mit 98,37 Prozent für den Ausstand entschieden hatten, war man noch geneigt, der IG Metall ein »Nun mal halblang!« zu erwidern. Hatte ihr Bezirkschef Olivier Höbel doch postuliert, die Halberg-Belegschaft kämpfe »stellvertretend für alle Beschäftigten in Ostdeutschland«, die sich »nicht zum Spielball von mächtigen Kapitalinteressen machen lassen« wollten. Mehr als einen Monat später wird klar: Hier ist wirklich Druck im Kessel. Hier sind 600 Mann gewillt, sich nicht einfach vor die Tür setzen zu lassen. Oder, wie es der Mann an dem Grill sagt, der auf dem Parkplatz vorm Werkstor steht: »Wir wollen hier nicht nur Würstchen grillen. Wir wollen etwas erreichen.«
Ein mulmiges Gefühl
Der fidele Mann am Grill, der vor 15 Jahren als Zeitarbeiter bei Halberg eingestiegen ist, kümmert sich im Werk eigentlich nicht um die Verpflegung, sondern um die Qualität der Produkte: Motorblöcke, Kurbelwellen, Zylinderköpfe, die aus Grauguss hergestellt und in Motoren von VW und Opel, Scania und Deutz verbaut werden. Derlei Fertigung hat in Leipzig lange Tradition: Der Vorläufer des heutigen Betriebs habe schon 1934 für Opel gegossen, heißt es auf der Homepage des Unternehmens. Das jetzige Werk wurde ab 1983 von japanischen Spezialisten für das VEB Metallgusswerk errichtet. 1993 wurde es von der Treuhand an die Hal-berg Guss GmbH in Saarbrücken verkauft, die wiederum im Besitz des französischen Konzerns Saint Gobain war, und hat mit dieser seither eine wechselvolle Geschichte durchlebt: Insolvenz 2009, Einstieg einer holländischen Kapitalgesellschaft, Übergang an die Süddeutsche Beteiligungs GmbH. Die Belegschaft musste immer wieder bluten: Verzicht auf Lohnerhöhungen, dann sogar sechs Stunden Samstagsarbeit - deklariert als Beitrag zur Sanierung. »Das war belastend«, sagt ein Schlosser, der seit fünf Jahren bei Halberg ist. Es war aber nichts im Vergleich zu dem, was sich seit Jahresanfang abspielte und jetzt im Streik mündete.
Man sei »aus der Weihnachtsruhe« gekommen, sagt der Mann am Grill - und habe sich im Besitz eines neuen Eigentümers gefunden: der Prevent-Gruppe der deutsch-bosnischen Unternehmerfamilie Hastor. Details erfuhren die Mitarbeiter nicht. Die im Internet nachlasen, beschlich freilich ein mulmiges Gefühl. Als großer Zulieferer der Automobilbranche liefert sich Prevent seit Jahren harte Scharmützel vor allem mit dem VW-Konzern - bei denen immer wieder Firmen, die Prevent aufgekauft hatte, Leidtragende sind. Bei Halberg Guss wiederholte sich das Muster: Prevent erhöhte die Preise für Motorblöcke, VW konterte, die Gießerei geriet in Turbulenzen. Das Ende vom Lied: In Saarbrücken sollen 300 von 1700 Stellen entfallen, das Werk in Leipzig soll Ende 2019 schließen. Sonst, hieß es, stehe die Existenz des Unternehmens in Gänze auf dem Spiel. Wie schreiben die Halberger auf einem Plakat? »Hast du Prevent im Haus, geht dir bald die Arbeit aus.«
Womit der neue Eigentümer indes wohl nicht gerechnet hatte: Die Arbeiter in Leipzig - und nicht zu vergessen: auch in Saarbrücken - wehren sich und bliesen zum Kampf. Der wird durchaus mit harten Bandagen geführt. Die IG Metall musste gleich mehrere Klagen abwehren, in denen die Rechtmäßigkeit des Streiks bestritten wurde. Erst an Tag 34 konnte die täglich erscheinende Streikzeitung nach einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Hessen melden: »Streik rechtmäßig«. Tage zuvor war die Lage auch am Leipziger Werkstor eskaliert: als Lkw verbliebene Ware abholen, die Streikenden das jedoch vermeiden wollten. Die Polizei musste intervenieren; Räumung drohte. Am Ende durften die Laster ins Werk.
Keine Streikpause
Inzwischen sind die Schmelzöfen im Werk geleert und abgekühlt. Vor dem Tor geht es derweil entspannt zu wie auf einer Maikundgebung. Männer von der Frühschicht sitzen auf langen Bänken oder Campingstühlen mitten in der Zufahrt; einige spielen Tischtennis, andere trinken das erste Bier des Tages. »Wer Schicht hat, kommt und bleibt seine acht Stunden hier«, sagt einer, der sonst Sandformen für den Guss herstellt und jetzt Geschirr spült. Für Abwechslung sorgt mal der Besuch von ebenfalls streikenden Beschäftigten der Amazon-Niederlassung Leipzig, mal ein »Flashmob« in der Innenstadt, bei dem das alte Streiklied »Keiner, keiner schiebt uns weg« angestimmt wird. Gespannt lauscht man Nachrichten aus Frankfurt, wo Gewerkschaft und Unternehmen verhandeln und wo man sich, wie Halberg-Geschäftsführer Barbaros Arslan sagte, vorige Woche »erstmals nähergekommen« sei. Er appellierte an die Streikenden, eine Pause einzulegen.
In Leipzig denken sie vorerst nicht daran. Nicht, solange ihnen der Eigentümer für den Fall einer Schließung nur eine Abfindung von 0,4 oder 0,6 Prozent eines Monatslohnes für jedes Jahr ihrer Firmenzugehörigkeit zahlen will - die Gewerkschaft war mit der Forderung von 3,5 Monatsgehältern in die Gespräche über einen Sozialplan gegangen. Das eigentliche Ziel, sagt der Former, der für den Job bei Halberg einst aus Ostsachsen nach Leipzig gezogen ist, sei ohnehin ein anderes: »Wir wollen hier arbeiten bis zur Rente.« Alternativen gebe es auch in Leipzig nur begrenzt. Große Arbeitgeber wie BMW stellten fast nur Leiharbeiter ein, und die Kleinen der Branche zahlen miese Löhne. Viele in der Gießerei hätten es wohl ohnehin schwer, anderswo eingestellt zu werden, weil die Gesundheit ruiniert sei: »Wir gehören nicht ohne Grund zur Schwerindustrie«, sagt einer.
Unruhige Kunden
Also harrt man am Tor aus - und registriert aufmerksam, dass die Kunden langsam unruhig werden. Frank Hiller, der Chef des Motorenherstellers Deutz, warnte, man werde wegen »streikbedingter Lieferengpässe« schon bald die Produktion herunterfahren müssen; es drohe Kurzarbeit. Es sei eine »Ausnahmesituation, die so in Deutschland einzigartig ist«. Der Druck auf die Eigentümer, so sehen das die Streikenden, wächst. Bisher winden sich diese »wie die Zicke am Strick«, sagt der Mann am Grill. Jetzt beginnen in der Branche die dreiwöchigen Betriebsferien; auch die Zahl derer, die bei Halberg Guss in Leipzig zum Streik ans Tor kommen, wird deshalb sinken. Danach aber, sagt er gelassen, »geht das hier weiter«.
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