KZ-Terror zur Ernährungssicherung im Krieg
13. Europäische Sommer-Universität Ravensbrück zu Zwangsarbeit und NS-Agrarpolitik - Anmeldung bis zum 1. August
Als die deutsche Wehrmacht am 1. September 1939 mit dem Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg begann, waren weder Wirtschaft noch Militär auf eine längere Auseinandersetzung eingestellt. Die Ressourcen Deutschlands, seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit waren viel schwächer, als die der Summe seiner Gegner.
Die NS-Führung hatte bereits vor Kriegsbeginn Wirtschaft und Landwirtschaft auf das Streben nach weitgehender Autarkie, nach Unabhängigkeit von Lieferungen von außen eingeschworen. Auch bei der Stärkung der Nahrungsmittelbasis hatte es Forschungen zu Ernährung und Landwirtschaft gefördert. Ziel war es, die Ernährung der Aggressionsarmeen, aber auch die Versorgung der Bevölkerung in Deutschland stets sicherzustellen. Die Wiederholung einer Ernährungskrise wie im Ersten Weltkrieg wollten die Nazis aus Angst vor Hungerrevolten um jeden Preis verhindern. Dazu hatten sie nicht nur die brutale Ausplünderung der besetzten Länder und das Aushungern der dort lebenden Bevölkerung sowie vor allem auch der sowjetischen Kriegsgefangenen einkalkuliert.
In die Durchsetzung ihrer Ziele im Agrarsektor war das Terror- und Vernichtungsnetzwerk der Konzentrationslager einbezogen. Dazu hatte die SS im Umfeld der Konzentrationslager Dachau, Auschwitz und Mauthausen und auch Ravensbrück (Oberhavel) landwirtschaftliche Versuchsgüter eingerichtet. Inspiriert durch die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise wurden hier Ackerbau, Viehzucht, Baumschulen, Kräutergärten und Fischgründe betrieben. Die Tageszeitung »taz« schrieb in einem 2000 veröffentlichten Artikel vom »Ökolabor KZ-Ravensbrück«.
Typisch für derartige Unternehmungen war etwa das nur wenige Kilometer nördlich von Ravensbrück unter Leitung der Familie des späteren SS-Generals Oswald Pohl in der Siedlung Comthurey ab März 1941 durch KZ-Häftlinge errichtete Versuchsgut. Comthurey ist heute Ortsteil der Gemeinde Wokul-Dabelow, die rund 580 Einwohner hat und schon zum benachbarten Landkreis Mecklenburgische Seenplatte gehört. Rund 50 männliche und 150 weibliche KZ-Häftlinge betrieben als Zwangsarbeiter in Comthurey bis April 1945 in Versuchsgärten, auf Feldern und in Ställen eine Landwirtschaft nach damals modernen Methoden. Dann flohen die Pohls.
Die nationalsozialistische Agrarpolitik und Ernährungsforschung sowie deren Querverbindungen zum KZ-System stehen im Mittelpunkt der 13. Europäischen Sommer-Universität Ravensbrück, die vom 2. bis 7. September 2018 in der Gedenkstätte Ravensbrück stattfinden wird. Dazu werden nach Angaben der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten rund 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Studentinnen und Studenten sowie Interessierte aus dem In- und Ausland erwartet.
Diskutiert werde der Zusammenhang von Agrarpolitik und Ostexpansion sowie die Funktion und Bedeutung der im Umfeld von Konzentrationslagern angesiedelten SS-Versuchsgüter. Zudem gehe es um Zwangsarbeit in der Landwirtschaft, um Zucht und Auslese in der Agrarproduktion und »Rassenhygiene« aus geschlechterhistorischer Perspektive. Auch die Geschichte der ökologischen Wirtschaftsweise werde in Hinblick auf ihre verschiedenen ideologischen Inanspruchnahmen in den Blick genommen werden, heißt es.
Gedenkstättenleiterin Insa Eschebach erklärte: »Das Thema der diesjährigen Sommer-Universität steht auch im Zusammenhang mit einem zweijährigen Forschungsprojekt der Gedenkstätte Ravensbrück über die SS-Organisation ›Deutsche Versuchsanstalt für Ernährung und Verpflegung GmbH‹, die unter anderem die Versuchsgüter betrieb.«
Anmeldung bis zum 1. August 2018 und weitere Informationen unter sommer-uni@ravensbrueck.de
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.