• Berlin
  • Prozess gegen Marek M.

Kiezstress in Rigaer Straße beschäftigt Gericht

Prozess um Bewohner von Rigaer Straße verlängert / Kripo hatte Kontakt zu Zeugen

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 3 Min.

»Das hat Ausmaße angenommen - ich wollte doch nur jemandem helfen, der am Boden lag«, sagt I. und fasst damit den ganzen Prozess gegen Marek M. ganz gut zusammen. I. ist am zweiten Verhandlungstag gegen M., dem mehrere Beleidigungen und Körperverletzung vorgeworfen werden, als Zeugin geladen. Drei Verhandlungstage waren angesetzt. Doch die Zeit reichte nicht, um die Menge an Zeugen, die geladen waren, anzuhören. Nun wird verlängert. Und was bisher zu hören war, zeigt, dass es zu diesem Prozess gar nicht hätte kommen können, wenn es nicht um die Rigaer Straße 94 ginge.

Das ist die Anschrift von Marek M. Er wohnt aber nicht im bekannten linken Hausprojekt im Hinterhaus, sondern in einer Erdgeschosswohnung im Vorderhaus mit Blick auf die Straße. Den Zeugen nach ist M. in der Gegend bekannt. Allerdings nicht durch persönlichen Kontakt, sondern durch Hörensagen. »Der Pole aus der 94«, so sei er ihr gegenüber bezeichnet worden, berichtete die Zeugin I. Sie selbst habe ihn vor dem Tag des Bäckerei-Vorfalls nicht gekannt.

Bei dem Vorfall waren M. und ein weiterer Nachbar, S., aneinandergeraten. S. sagt, der Hund von M. sei grundlos aggressiv geworden, er habe versucht, ihn von sich zu halten. M. sagt, S. habe erst mit dem Hund gespielt, sei dann aber zu aufdringlich geworden, der Hund habe sich erschrocken und angefangen zu bellen, S. habe nicht nachgelassen und dem Hund eine volle Bierflasche über den Kopf gezogen. Als S. auch noch seine Frau bedrohte, habe M. dessen Hand gepackt, sie seien schließlich zu Boden gegangen, er habe S. zu Boden gedrückt und ihn mehrmals aufgefordert, die Bierflasche loszulassen. Irgendjemand habe S. schließlich die Flasche aus der Hand genommen, daraufhin habe M. ihn losgelassen. S. hingegen sagt, irgendjemand habe M. von ihm weggezerrt. Die Zeugin jedenfalls rief auf S. Wunsch hin mit dessen Handy seine Freundin an. Auf seine Bitte, ihm Bier zu geben, organisierte sie stattdessen Wasser.

Ungewöhnlich erscheint, was dann geschah. I. wurde vor Ort von zwei Zivilbeamten aufgefordert, mit S. in den Krankenwagen zu steigen. Auch weitere Zeugen stiegen ein, eine Zivilpolizistin kam ein paar Ecken weiter dazu. Im Krankenhaus seien sie in einem Nebenraum von den Zivilpolizisten vernommen worden. Unterschrieben habe sie dort nichts, auch keine Vorgangsnummer erhalten, berichtet I.

Ihre spätere Zeugenvernehmung hat sie handschriftlich korrigiert. Mehrere Sätze darin seien so geschrieben gewesen, wie sie niemals formulieren würde, sagt I. Nicht gestrichen hatte sie die Beschreibung des Angeklagten als »polnischer Hooligan«. Vor Gericht stritt sie allerdings ab, diese Formulierung je genutzt zu haben.

Später sei sie dann mehrmals von einem LKA-Beamten angerufen worden, der sie gefragt habe, ob sie sich bedroht fühlt. Hintergrund waren Plakate, die im Kiez um die Rigaer Straße herum aufgehängt worden waren, die zum »Kiezgericht« einluden und »Denunziaten« warnten. »Ich habe mich davon aber nicht angesprochen gefühlt.« Dann sei zu einem Treffen eingeladen worden, an dem auch weitere Zeugen des Vorfalls teilnahmen. An weiteren gemeinsamen Aktionen wollte sie sich allerdings nicht beteiligen. »Ich wollte nicht als Gruppe auftreten.« Zeugenschutz für die Aussagen vor Gericht lehnte sie anders als mehrere andere Zeugen ab.

Marek M. steht noch wegen weiterer Vorfälle vor Gericht, unter anderem soll er Polizisten beleidigt und bedroht haben, die seine Tochter zur Kontrolle am Arm gepackt hatten. Die Tochter war zu dem Zeitpunkt keine 14 Jahre alt. Warum sie überhaupt kontrolliert wurde? Ein Polizeizeuge: »Das ist in einem kriminalitätsbelasteter Ort möglich.«

Marek M., der seit Ende März in Untersuchungshaft sitzt, wurde am Montag auf Antrag seiner Anwälte entlassen.

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