»Ich bin eine Frau, ich habe alle Rechte«

Asmaa Yousuf lehnt Erfolg als Bedingung für die Gleichstellung der Geschlechter ab

  • Asmaa Yousuf
  • Lesedauer: 5 Min.

»Eine Nation mit einer Frau an der Spitze wird niemals erfolgreich sein« – was für ein anstößiger Satz. Er stammt von Prophet Mohamed, der damals die Menschen um sich herum fragte: »Wer hat Persien angeführt?« Und einer antwortete: »Eine Frau.« Daraufhin sagte der Prophet, dass von Frauen angeführte Nationen niemals erfolgreich sein würden.

»Schaut euch Angela Merkel an, sie führt Deutschland und ist erfolgreich. Auch Kroatiens Staatspräsidentin, sie hat den größten wirtschaftlichen Reformprozess der Welt geführt und damit ihr Land gerettet«, höre ich heute und hier. Kommentare wie diese machen mich genauso unzufrieden. Sie dienen als Beweis dafür, dass Frauen durchaus erfolgreich ein Land führen können. Sie bedeuten aber auch, dass ich als Frau übermenschlich sein muss, um allen zu beweisen, dass ich eine Frau bin und einem Mann gleich.

Ich muss Ministerpräsidentin werden, um zu beweisen, was grundsätzlich mein Recht ist. Ich muss doppelt so viel leisten wie irgendein Mann, um diese Aussage oder den Hadith, die Überlieferung des Propheten Mohamed, zu widerlegen – eine Aussage, die mir verwehrt, das zu bekommen, was mir als Mensch zusteht.

Ständig muss ich etwas beweisen, mein ganzes Leben lang. Ich als Frau lehne es aber ab, dafür zu brennen, meine Gleichheit mit Männern zu beweisen. Denn das gibt mir das Gefühl, dass ich beweisen muss, ein Mensch zu sein, während ich in Wirklichkeit längst ein Mensch bin. Ich höre in diesen Kommentaren die unterschwellige Botschaft: Frauen haben das Recht, Ämter zu bekleiden, weil sie sich als erfolgreich erwiesen haben. Das würde bedeuten, dass die Anerkennung der Rechte der Frau als Mensch von ihrem Erfolg abhinge.

Mit den folgenden Worten richte ich mich daher an Aktivisten und Liberale: Würdet ihr an diesen Hadith auch glauben, wenn ihr wüsstet, dass Margaret Thatcher während ihrer Herrschaft Verbrechen gegen die Rechte der Arbeiter begangen und sie die Entstehung einer Klasse von Besserwissern und Nutznießern gefördert hat, was dazu führte, dass ihre Partei sie wegen ihrer Taten fallen ließ? Leugnet ihr die Weisheit einer Frau, wenn ihr erfahrt, dass Thatcher sich mit dem Thema Apartheid in Südafrika genauso intensiv beschäftigt hat wie mit den britischen Wirtschaftsinteressen und den Geschäften ihres Mannes? Werdet ihr die Frauen nicht mehr unterstützen, wenn ihr erfahrt, dass Kroatiens Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović, Staatsoberhaupt einer parlamentarischen Republik ist - was bedeutet, dass ihr Amt überwiegend eine repräsentative Funktion hat und sie daher nicht all diese Legenden, die über sie erzählt werden, vollbracht hat? Oder beschuldigt ihr Frauen nun der Inkompetenz, weil in der Zeitung stand, dass Kroatiens Co-Trainer Ognjen Vukojevic nur entlassen wurde, da Kolinda versucht Russland zu besänftigen und einen politischen Verbündeten zu finden? Werdet ihr den Frauen die Rechte verweigern, wenn irgendwann herausgefunden werden sollte, dass zum Beispiel Angela Merkel eine korrupte Politikerin war?

Frauen sind Menschen, genauso wie Männer. Sie können erfolgreich sein, sie können aber auch scheitern – ebenfalls wie Männer, vor allem wie Politiker, die Kriege entfachen und trotzdem keines ihrer Rechte verlieren. Scheitert eine Frau in ihrem Beruf, nimmt ihr das nicht ihre Rechte. Daher, lieber Mann und liebe Frau mit guten Absichten: Hört auf, die Frauenfragen zu verflachen, setzt nicht weiter Qualitätsstandards als Voraussetzung für die Gleichstellung zu Männern! Hört mit dieser Geschmacklosigkeit einfach auf!

Schon immer berührte mich die Aussage, keine von einer Frau angeführte Nation werde je erfolgreich sein. In mir entstand ein innerer Konflikt: Wie konnte ich den Propheten lieben, wenn er mich mit seinen Worten derart herabstufte? Als Kind suchte ich nach Wörtern, die auf Versöhnung mit dieser Angelegenheit hindeuteten.

Ich träumte davon, dass einer der Gelehrten erscheinen und die Gültigkeit des Hadith leugnen würde. Anfangs wurde mir gesagt, dass das keine Beleidigung für Frauen sei. Es bedeute lediglich, dass man Angst um die Frau hätte, die zierliche, emphatische Frau, die man nur von dem harten Kampf in der Politik fernhalten wolle, da sie nicht darauf vorbereitet sei. Doch das überzeugte mich nicht. Und auch heute lehnt etwas in mir diese Aussage noch immer ab.

Ich wuchs und wuchs und mit mir wuchs dieser Dorn in meinem Hals gegenüber diesem Hadith und auch anderen Aussagen des Propheten, die den Wert der Frauen reduzieren, wie zum Beispiel: »Ihnen mangelt es an Verstand und Religion.« Ich begann darüber zu lesen, dass der Hadith, wenn die Schilderung denn authentisch ist, unvereinbar ist mit den Forderungen des Islams, Frauen zu ehren.

Später schaute ich auf andere Meinungen, die erklärten, dass der Prophet mit diesem Satz den Zusammenbruch des persischen Staates prophezeit hatte – und nicht mehr. Der Beweis dafür sei, dass im Koran Balkis, die Königin von Saba, als Herrscherin gelobt wird, da ihre Herrschaft auf Konsultationen basierte. Der Pharao dagegen werde für sein Macht- und Entscheidungsmonopol kritisiert.

Kurz danach las ich Werke von islamischen Denkern wie Mohamed Al Awa, der schreibt, dass diese Aussage in einen zeitlichen und räumlichen Kontext gehört und dass die Präsidentschaft sich von der Position des Imams im Islam unterscheidet. Daher kann die Frau auch das Amt des Präsidenten annehmen. Es ist eine institutionelle Funktion, die innerhalb einer Reihe von Verfassungskontrollen ausgeübt wird.

Eine Weile machten mich diese Worte glücklich, doch dann dachte ich darüber nach: Bedeutet das, dass Männer eine Funktion ohne Einschränkungen übernehmen können, während Frauen das nicht können? Ist es überhaupt möglich, dass irgendeine Person eine Funktion uneingeschränkt übernimmt?

Ich persönlich bin inzwischen überzeugt, dass eine Frau einem Mann gleichgestellt ist und die gleichen Rechte genießt, die gleichen Pflichten hat und sie keine religiöse oder sonstige Erlaubnis benötigt, um ihre Rechte und Freiheiten auszuüben.

Dementsprechend, lieber strikter Islamist und lieber vorlauter Liberaler, ist mir eure Meinung egal. Keiner darf mich nach Kriterien des Erfolgs oder des Misserfolgs beurteilen, um für mich zu bestimmen, was meine Recht sind.

Der Artikel ist im Original auf Arabisch und zuerst bei Amal Berlin erschienen. Übersetzt wurde er in Kooperation mit Media Residents von Karin al Minawi.

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