Gen-Scheren sind Gentechnik

Umweltschützer und Gentechnikkritiker reagieren erfreut auf das Gerichtsurteil aus Luxemburg

  • Haidy Damm
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit Spannung wurde es erwartet und fiel in seiner Klarheit überraschend aus. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am Mittwoch entschieden, dass neue Gentechnikverfahren wie die als Gen-Schere bekannte Züchtungsmethode CRISPR-Cas unter die EU-Gentechnikregulierung fallen. Das erklärte das oberste EU-Gericht am Mittwoch in Luxemburg (Rechtssache C-528/16). Damit gelten für Lebensmittel, die derart verändert wurden, spezielle Kennzeichnungspflichten. Außerdem müssen Pflanzen, die mit den neuen Verfahren erzeugt wurden, vor der Zulassung auf ihre Sicherheit geprüft werden.

Ein französisches Gericht hatte im Oktober 2016 eine Klage der Bauernorganisation »Confédération paysanne« sowie acht weiterer Organisationen an den EuGH weitergereicht. Diese hatten vor französischen Gerichten gegen die Umsetzung von EU-Regularien in nationales Recht geklagt. Frankreich hatte die neuen Gentechnikverfahren von den Regularien ausgenommen und eine Pflanze zugelassen, die gegen ein bestimmtes Herbizid resistent gezüchtet wurde. Die Kläger hatten argumentiert, dass im Laufe der Zeit neuere Mutagenese-Verfahren entwickelt worden sind, mit denen - anders als bei älteren Verfahren - gezielte Mutationen in Genen möglich seien. Um Gesundheitsschäden zu vermeiden, müssten diese denselben Verpflichtungen aus der entsprechenden EU-Richtlinie von 2001 unterliegen und damit speziell überprüft und gekennzeichnet werden.

Dieser Argumentation sind die Luxemburger Richter weitgehend gefolgt. Mit den neuen Mutageneseverfahren ließen sich die gleichen Wirkungen erzielen wie mit der Einführung eines fremden Gens in einen Organismus, erklärten sie. Die dabei entstehenden Gefahren seien größer als bei den älteren Verfahren. Auch diese sind im EU-Recht unter Gentechnik eingestuft, gelten aber als sicher und müssen deshalb bestimmte Überprüfungen nicht mehr durchlaufen und unterliegen nicht der Kennzeichnungspflicht. In diese Kategorie wollten die Hersteller der neuen Verfahren ihre Methoden auch gerne eingeordnet haben. Ziel der EU-Regelung sei es aber, so die Richter, grundsätzlich schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu verhindern. Deshalb fielen die neuen Verfahren unter die entsprechenden EU-Regulierungen.

Die Reaktionen auf das Urteil sind erwartungsgemäß gespalten. Gentechnikkritiker begrüßten das Urteil, das Gericht ist ihrer Argumentation weitgehend gefolgt. »Diese Entwicklungen zeigen insbesondere eines: dass die neuen Gentechnik-Verfahren neu sind. So banal, so wichtig: Im Monatstakt werden neue Details bekannt. Um das mit den neuen Gentechnik-Verfahren verbundene Risiko überhaupt einschätzen zu können, müssen sie eingehend geprüft werden«, sagte Christof Potthof vom Gen-ethischen Netzwerk. Die Regulierung dürfe nicht mit einem Verbot verwechselt werden.

Vertreter der Hersteller zeigten sich dagegen herbe enttäuscht. »Das ist keine gute Nachricht für Pflanzenzüchter, Landwirte und Unternehmen der Wertschöpfungskette«, sagte Jaana Kleinschmit von Lengefeld, Präsidentin des Verbandes der ölsaatenverarbeitenden Industrie in Deutschland. Europa koppele sich so vom technologischem Züchtungsfortschritt ab. In diese Richtung argumentiert auch der Deutsche Bauernverband. »Dieses Urteil verbaut uns die notwendigen Möglichkeiten, mit Hilfe der Pflanzenzüchtung die Herausforderungen des Klimawandels zu meistern«, kritisierte der Präsident des Derutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, das Urteil. Beide wollen sich - wie auch das CDU-geführte Agrarministerium - in Brüssel für ein europaweit einheitliches Vorgehen einsetzen.

Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) dagegen zeigte sich erleichtert. Konventionell oder biologisch wirtschaftende Landwirte hätten sich durch gentechnikfreie Erzeugung einen großen Wettbewerbsvorteil erobert. »Dies wollen wir nicht durch neue Gentechnik-Verfahren aufs Spiel setzen«, sagte AbL-Sprecher Martin Schulz und verwies auf das europäische Vorsorgeprinzip, das der EuGH mit seinem Urteil gestärkt habe.

Umweltverbände, Verbraucherschutzorganisationen sowie Grüne forderten in Deutschland nun eine zügige und konsequente Umsetzung des Urteils. Denn auch deutschen Behörden liegen erste Anträge auf Grundlage der neuen Gentechnikverfahren vor. Dabei handelt es sich laut der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage des Grünen-Bundestagsabgeordneten Harald Ebner um eine Apfelsorte, um Raps und eine neue Züchtung der Krautpflanze Ackerschmalwand. »Julia Klöckner muss jetzt schleunigst ihre Behörden zurückpfeifen, die schon in den Startlöchern standen, den Herstellern möglichst schnell Freibriefe für die Zulassung neuer Gentechnik-Produkte ohne Sicherheitsprüfung auszustellen«, so Ebner.

Lesen Sie auch: Technische Verfahren wie CRISPR werden weder den Klimawandel aufhalten noch Verteilungsgerechtigkeit herstellen.

Die angesprochene Agrarministerin hatte sich zurückhaltend zum Urteil geäußert. Die CDU-Politikerin sprach einerseits von einer »Klarstellung in einem der bedeutendsten Forschungsfelder«, wobei der Verbraucherschutz oberste Priorität habe. Gleichzeitig wies Klöckner auf ein Dilemma hin: »Wir wollen einerseits weniger Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Andererseits gleiche Ernteerträge. Dazu bräuchten wir weitere Möglichkeiten - zum Beispiel schädlingsresistente oder dürreresistente Sorten.«

Ihre Koalitionspartnerin, Bundesumweltministerin Svenja Schulze, begrüßte dagegen das Urteil als »gute Nachricht für die Umwelt und den Verbraucherschutz«.

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