Mit dem unbedingten Willen

Sylvain Chavanel ist mit seiner 18. Teilnahme nun Rekordfahrer der Tour de France - ein Kämpfer war er immer

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.

Die wilden Locken sind weg. Graue Spuren sind im kurz geschnittenen Haar bereits zu sehen. Sylvain Chavanel ist aber dennoch bei der Tour de France dabei. 2001 fuhr er seine erste. Da war Lance Armstrong noch Patron, und Jan Ullrich der Herausforderer. Jetzt ist er immer noch aktiv, macht seine 18. Tour - und ist damit Rekordhalter.

»Es ist schön, jetzt diesen Rekord zu haben«, sagt Chavanel zu »nd«. Während der Tour hat er seinen 60 000 Wettkampfkilometer absolviert. 365 Renntage bei der Tour kommen auch zusammen, hat die französische Sportzeitung »L’Équipe« zusammengerechnet. Ein Jahr nur Tour, Woche für Woche, Tag für Tag - welch Monument.

Chavanel nimmt all diese Zahlen recht gelassen hin. »Ich bin ein ganz normaler Fahrer. Ich habe mich auf diese Tour auch gar nicht besonders vorbereitet, jedenfalls nicht anders, als in den Jahren zuvor. Ich trainiere, um für die Saison fit zu sein. Aber für die Tour bin ich nie in irgendwelche Höhentrainingslager gegangen, früher nicht und jetzt auch nicht. Ich habe ja auch Familie, um die ich mich kümmern will«, erzählt er.

Die Familie, das sind Frau und zwei Kinder, ein großer Hof und ein Rennpferd, das er sich gekauft hat. In Zukunft wolle er noch mehr bei der Familie sein, eine Karriere als Sportlicher Leiter sei momentan nicht geplant, heißt es bei seinem Team Direct Energie. Es ist Chavanels Heimatrennstall. Als der noch Bonjour hieß, begann Chavanel hier seine Karriere und kam nach Umwegen bei Cofidis, Quick Step und IAM wieder zurück zu den Wurzeln. Ein Betreuerjob scheint da vorgezeichnet. Aber Chavanel hält sich bedeckt. »Das hier ist sicher meine letzte Tour, vielleicht noch nicht das letzte Jahr als Profi. Das habe ich noch nicht entschieden. Auch wie ich weiter mache, ist noch offen«, meint er gegenüber »nd«.

Im Peloton ist er gegenwärtig der unbestrittene Chef, wenn es mal Probleme gibt. Als protestierende Bauern mit Heuballen den Kurs blockieren wollen, ist es Chavanel, der neben dem roten Skoda mit der Nr. 1 vom Renndirektor Christian Prudhomme fährt und die Lage bespricht. Nicht Gelbträger Geraint Thomas, nicht Vierfachsieger Chris Froome, auch nicht Coverboy Peter Sagan kommt diese Aufgabe zu, nein, Methusalem Chavanel macht es.

Nur als Veteran fährt der 39-Jährige aber auch nicht mit. 420 Kilometer hat er schon wieder in Fluchtgruppen zurückgelegt. Er ist einer der Ausreißerkönige der Tour. Zwei Mal wurde er gar als Oberkämpfer, als Kämpferischster Fahrer der gesamten Rundfahrt geehrt. »Das gehört zu meinen schönsten Erinnerungen - neben den drei Etappensiegen«, meint er.

Wie bereitet sich ein Crack wie er auf Ausreißversuche vor? »Das ist vor allem eine mentale Angelegenheit. Du musst bereit dazu sein, du musst es wirklich wollen, musst in die Schlacht ziehen wollen. Gut, es braucht auch die Beine, sie müssen funktionieren. Aber es ist vor allem ein Kopfsache. Bei der Tour de France ermüdest du im Laufe der Zeit. Dagegen musst du dich wehren, du musst mit dem Willen gegen deine Erschöpfung angehen«, lautet sein Rezept.

Fragt man ihn nach seinem düstersten Moment bei 18 Tourteilnahmen, kommt er auf die Tour 2007 zu sprechen, den Ausschluss des Cofidis-Teams, für das er damals fuhr. »Ein Teamkollege, Cristian Moreni, war positiv getestet worden. Und wegen ihm konnte ich meine Tour nicht beenden. Das war bitter«, blickt er zurück. Zum Salbutamol-Fall von Chris Froome will sich Chavanel nicht äußern. Es ist nicht sein Team, nicht seine Sache. »Das bringt mich alles nicht um den Schlaf«, meinte er, als die Affäre noch heiß war. Jetzt fährt er seine 18. Tour zu Ende, ein Profi, der im Sattel kämpft, sonst aber nicht aneckt. Und wegen seiner Ausdauer nun im Rekordbuch steht.

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