Selbstorganisation

Realistische Träumerei von Holger Lorenz

  • Raimon Brete
  • Lesedauer: 2 Min.

Zurück zu Marx und mit ihm gemeinsam vorwärts zu neuen Ufern der gesellschaftlichen Erkenntnis. Dies scheint die Devise von Holger Lorenz zu sein. Er hat sich intensiv mit der Denkmethode von Karl Marx befaßt und sie auf die heutigen chaotischen spätkapitalistischen Verhältnisse angewendet. Herausgekommen ist ein Buch, das es in sich hat.

Die Marxschen Kategorien von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen werden auf die Begriffe Zivilisation, technischer Fortschritt und Humanität angewendet. Das Ergebnis sind völlig neue Erkenntnisse bezüglich der »entfremdeten Arbeit«, dem Hauptproblem eines erneuten sozialistischen Aufbauversuchs. Des Weiteren wird auf die hemmungslose Entwicklung der Produktivkräfte im Kapitalismus Bezug genommen, was die heutigen chaotischen Zustände zur Folge hat.

Die Zivilisation (patriarchalische Klassenherrschaft) als Übergangsperiode verbindet wiederum die ausbeutungslose Urgesellschaft (Matriarchat) mit einem zukünftigen ausbeutungsfreien Kommunismus, einem modernen Matriarchat, das sich aus der gesellschaftlich notwendigen Auflösung der »heiligen Familie« zwangsläufig ergibt. Dieser Auflösungsprozess von der patriarchalischen Großfamilie des Altertums zur proletarischen Kleinstfamilie der Neuzeit erzeugt eine neue Selbstorganisation, die ohne Ausbeutung, ohne Herrschaft und deshalb auch ohne Staat auskommt.

Als Quintessenz des Buches ergibt sich die Erkenntnis, dass die gegenwärtige Stärke der Rechten allein aus der theoretischen Schwäche der Linken herrührt, die keine praktischen Visionen mehr aufzeigen. Und diese Schwäche wiederum ergibt sich aus dem Verzicht auf den Klassenkampf von unten, so wie ihn Marx als das Herzstück zur proletarischen Befreiung von Lohnarbeit und Kapital entdeckt hatte. Ein einzigartiges Buch, das wieder ganz bei Marx ist und zugleich ein Lehrbuch des Marxismus und ein Aufruf zum Klassenkampf von unten.

Die Zukunft sieht Lorenz in einem modernen Matriarchat, einer herrschaftsfreien Gemeinschaft, die auf der einen Seite aus regional produzierenden und regional konsumierenden Agrarstädten besteht, die sich selbst verwalten und über ihr Leben selbst bestimmen. Und die auf der anderen Seite alles Wissen kostenlos globalisiert (Abschaffung des Patentschutzes), um überall auf der Welt eine gleich hohe Arbeitsproduktivität zu erreichen. Kurz, in der umfassenden Regionalisierung von Produktion und Konsumtion, in der Wiederaneignung von Politik durch Selbstorganisation der Menschen vor Ort.

Holger Lorenz: Die kommende Welt der mütterlichen Vernunft. Kommunistisches Manifest für das 21. Jahrhundert. Druck- und Verlagsgesellschaft Marienberg, 384 S., br., 20 €.

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