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Deutschland, Weltmeister der Abwehr
Wenn Marginalisierte in der Öffentlichkeit über Diskriminierung sprechen wollen, wird ihnen nicht zugehört findet Paula Irmschler
Mit Themen, die von Marginalisierten gegen den Mainstream ins Spiel der Öffentlichkeit gebracht werden, ist es immer das gleiche: Die von Diskriminierung Unbetroffenen oder Profitierenden lamentieren ewig: wenn es wirklich so viel Sexismus, Antisemitismus, Hass gegen Homosexuelle und Rassismus gäbe, wenn diese Dinge ein solch großes Problem seien, wie Linke immer sagen, ja, dann würde man es doch mitbekommen. Nun, diskriminierte Menschen äußern es immer wieder, es wird nur eben nicht zugehört und vor allem mit allen verfügbaren rhetorischen Mitteln abgewehrt. Auftritt Mesut Özil: Sein Rücktritt aus der deutschen Männerfußballnationalmannschaft, sein Bericht über rassistische Erfahrungen und die normalen Reaktionen.
Man muss es dazu sagen, sonst rasten wieder alle in der Kommentarspalte aus: Nein, das mit Erdoğan war nicht in Ordnung. Das muss man kritisieren, bedeutet aber immer noch nicht, dass Özil sich den Rassismus ausgedacht hat. Und mit diesem müssen sich alle auseinandersetzen, egal, was der Mensch, der ihn erlebt, getan hat. Dass er mit Erdoğan abkumpelt, ist nicht egal bei der Erdoğan-Debatte, aber es ist egal bei der Rassismusdebatte, die jetzt läuft, aber von vielen nicht zugelassen werden will. Dementsprechend scharf wird von Leuten, die übrigens auch noch nie ein Tor für Deutschland geschossen haben, zurückgeschlagen. Özil habe das Image Deutschlands in den Schmutz gezogen, das ganze Land diffamiert, die Nazikeule geschwungen, was soll dieser Rundumschlag jetzt, er betreibe Denunziation gegen seine Kritiker und überhaupt hat er nie die Nationalhymne mitgesungen und er spielt auch eigentlich gar nicht so gut Fußball. Aus erlebter Diskriminierung wird ein »Rassismus-Vorwurf«, den man (gute Deutsche) nicht auf sich (Deutschland) sitzen lassen darf.
»Ach, jetzt sind wir alle Rassisten«, meinen die Leute an den Geräten zynisch, die keine Rassisten sind, aber sich angegriffen fühlen. Man ist kein Rassist, will aber auch nichts gegen Rassismus tun, geschweige denn ihn wahrnehmen. Sonst müsste man jetzt mal zuhören. Aber Deutschland ist ja in Gefahr, da müssen alle anpacken, ob Rassist oder nicht, zusammenstehen muss man. Der Deutsche fühlt sich als Kollektiv angegriffen und antwortet in dementsprechender Michelmanier für alle. Und mit »alle« sind offensichtlich nur Weiße gemeint, sonst würde er Nichtweiße ernst nehmen. Natürlich ist einem dabei Özils Herkunft und anderer Diskriminierter völlig egal, man selbst sieht keine Farben. Man sieht sie so wenig, dass man nicht mal sieht, wenn die, deren Farben man nicht sieht, angegriffen werden und sich äußern. Nur, wenn die Menschen, deren Farben man nicht sieht, einen Fehler begehen, dann sieht man plötzlich wieder sehr gut.
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